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Ich wünschte aber, ihr wärt ohne Sorgen

Thomas-Merton-Symposium

Anlässlich des 100. Geburtstages von Thomas Merton fand im Gästehaus der Abtei Münsterschwarzach ein Symposium statt, das Leben und Werk des Trappistenmönchs bedachte. Am Ende der Tagung mit Teilnehmern und Referenten aus aller Welt hielt Dr. Wunibald Müller folgende Ansprache:

Kloster Gethemane 1965 - vor genau 50 Jahren. Die Nacht ist angebrochen. Es ist bitter kalt. Thomas Merton sitzt in seiner Einsiedelei. Er hat sich eine Suppe gekocht, isst etwas Obst dazu. Mehr will er sich nicht kochen, er hat ja gar nicht genug Wasser hier in seiner Hütte, um das schmutzige Geschirr damit spülen zu können. Morgen wird er 50 Jahre. Er schreibt in sein Tagebuch:

„Soll ich auf die Vergangenheit schauen als etwas, das man analysieren und über das man nachdenken sollte? (Nein). Ich danke Gott für die Gegenwart, nicht für mich in der Gegenwart, sondern für das Geschenk, das seine Gegenwart für mich bedeutet.

Weiter schreibt er: Was ich in meinem Leben am meisten vorfinde ist Illusion. Etwas sein zu wollen, von dem ich mir ein Konzept geformt hatte. (Und doch)

unabhängig davon, welche Fehler und Illusionen auch mein Leben kennt... Ich kann mich an viele glückliche und erleuchtete Tage und Phasen erinnern. Hier? Die wichtigste und glücklichste Zeit meines Lebens und auch einer der schlimmsten Zeiten war in und um das Kloster Gethsemane, den Wäldern und  Feldern, alleine, mit dem Himmel und der Sonne (über mir) – und hier oben in der Einsiedelei.

Liebe Brüder, liebe Schwestern

„Ich wünschte aber, ihr wäret ohne Sorgen", heißt es heute in der Lesung aus dem 1. Brief an die  Korinther. Dieser Wunsch gilt gleichermaßen für Verheiratete wie Unverheiratete. Auf den ersten Blick mag man denken, ja die Unverheirateten, darunter jene, die sich für ein Leben im Kloster entschieden haben, wollen nur Gott gefallen. Sie können sich nur um IHN kümmern, müssen sich nicht um Kinder, Rente, Altersheim kümmern. Sie wissen, jedenfalls, wenn sie hier in Münsterschwarzach ins Kloster eingetreten sind, dass sie auch in 20 Jahren am Sonntagabend ihr Bier zum Abendessen serviert bekommen. Das mag ja alles stimmen. Aber haben Sie wirklich weniger Sorgen als Verheiratete?

Wer sich dem Leben stellt, wird von Sorgen nicht verschont bleiben, egal ob verheiratet oder nicht. Mag es bei dem einen die Sorge um den Arbeitsplatz und die Familie sein, so sind es beim anderen Konflikte mit den Vorgesetzten, dem Gehorsam, den Mitbrüdern, wie ich gesehen werde, ob ich genug beachtet werde usw.

„ Ich wünschte aber, ihr wäret ohne Sorgen". Ohne Sorgen zu sein, das ist und wird immer ein frommer Wunsch bleiben. Ob verheiratet oder unverheiratet.

Wie so vieles, was wir uns erträumt haben, was wir von uns, vom Leben erwartet haben, ein Traum bleiben, sich als Illusion erweisen wird. Die Sinfonie unseres Lebens bleibt, so Karl Rahner, unvollendet. Wir werden immer wieder als Verheiratete und Unverheiratete Illusionen aussitzen, hinter dem zurück bleiben, was wir uns erwartet hatten, als wir uns für einen Partner entschieden, als wir die Entscheidung trafen, ins Kloster zu gehen.

Wir können bei Kierkegaards Erkenntnis stehen bleiben: "Heirate oder heirate nicht, Du wirst beides bereuen", und da dann auch wirklich stecken bleiben. Oder aber einfach akzeptieren, dass, sich für etwas zu entscheiden, unweigerlich mit dem Verzicht des anderen einhergeht. Um jetzt das, wofür wir uns entschieden haben, zu umarmen, so gut es uns möglich ist, das Beste daraus zu machen und, wie Thomas Merton, auch das zu sehen und zu würdigen, was gut ist, was schön war, was uns glücklich machte und macht.

Mich mehr um Gott zu kümmern, nur Gott gefallen zu wollen, hängt so gesehen nicht in erster Linie davon ab, ob ich verheiratet oder unverheiratet bin. Es geht darum, das, wofür ich mich entschieden habe, ganz zu leben. Darin meine Erfüllung zu finden. Dann können wir auch, welche Entscheidung wir auch immer getroffen haben, immer wieder einmal sagen, es ist letztlich gut so. Da ist der Mensch, mit dem ich sein durfte und sein darf. Bei allen Schwierigkeiten, die es auch gab und gibt, es ist gut so. Das ist der Ort, an dem zu sein, gut ist. Das sind die Menschen, mit denen zu sein, gut ist. Es könnte vieles besser und anders sein, auch mancher Mitbruder oder manche Mitschwester, vor allem aber auch ich selbst. Und doch: Es ist gut so. Es ist mein Ort, mein Platz.

Thomas Merton konnte manchmal über seine Mitbrüder herziehen, ganz im Sinne von Karl Rahner, der einmal gesagt haben soll, der liebe Gott hat uns Menschen zwar erschaffen, er brauche sich aber nichts darauf einzubilden. Im Tiefsten war Thomas Merton  aber von einer großen Liebe und Dankbarkeit gegenüber seinen Mitbrüdern erfüllt. Am Tag seiner Beerdigung meinte einer seiner Mitbrüder, die um seine Unzulänglichkeiten wussten und einen zweiten Thomas Merton in ihrer Gemeinschaft sicher nur schlecht verkraftet hätten – er meinte : "Vor allem aber haben wir ihn geliebt!"

Heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen? Lieber Sören Kierkegaard. Du magst ja Recht haben, aber vielleicht auch nicht. Es ist sicher wichtig, so gut es geht für sich herauszufinden, was für mich stimmt. Entscheidend ist dann aber, was ich aus dem, wofür ich mich entschieden habe, mache. Ich kann ein Leben lang hadern mit meiner Situation, ich kann sie manchmal auch grundsätzlich ändern, wenn das nötig ist. Und dann kann ich aber  bei allem Frust, bei aller Enttäuschung, immer wieder auch ganz tief in mir Dankbarkeit dafür empfinden, mit diesem Menschen, an diesem Ort, mit diesen Mitbrüdern sein zu dürfen,  Alltag zu leben. Und diese Dankbarkeit  vielleicht den Partner, die Freundin, den Mitbruder ab und zu spüren  lassen: Du, es ist gut mit Dir zu sein, lieber Mitbruder, es ist gut mit dir, meinem Schatz, meinem Partner, meiner Freundin, zu sein. Danke! Dann, davon bin ich überzeugt, gefalle ich meinem Partner, meinem Mitbruder, meiner Mitschwester und Gott.

„Ich wünschte aber, ihr wäret ohne Sorge". Ihr, die ihr verheiratet seid und Ihr, die ihr nicht verheiratet seid, im Kloster lebt, wir alle, die wir natürlich alle Sorgen haben und uns, wenn wir ehrlich sind, nicht nur um Gott kümmern, bei weitem nicht nur ihm gefallen wollen, wir werden vor allem dann weniger Sorgen haben, wenn es uns ab und zu gelingt, so zu tun, als sei alles schon erledigt, wir nicht länger weder Gott noch dem Mitbruder oder der Partnerin gefallen müssen.  Dann kann sich vielleicht endlich ereignen, wonach wir uns so oft sehnen: zu spüren, dass wir leben. Wir dieses unerhörte, unbegreifliche Geschenk, - jetzt, heute – zu leben, wieder neu würdigen und wie Thomas Merton am Vorabend seine 50 Gebutstages  Gott danken können für das Geschenk seiner Gegenwart. Aus dem Tagebuch von Thomas Merton:

„Ich lausche dem Ticken der Uhr. Unten hat der Thermostat eben das Summen aufgehört. Gott ist in diesem Raum. Er ist in meinem Herzen – so spürbar, dass es schwierig ist zu lesen oder zu schreiben. ...Möge dein Feuer in mir wachsen und ich dich in deinem wunderbaren Feuer finden. Es ist sehr still, o mein Gott. Dein Mond scheint auf unsere Hügel, und dein Mondlicht scheint in meine weit geöffnete Seele, wenn alles still ist...

Ein Enkel von C.G. Jung berichtet davon, dass der Großvater, wenn sie in der Familie abfällig über Gott sprachen mit dem Zeigefinger dreimal auf den Tisch klopfte und dabei sagte. „Er ist da". Thomas Merton konnte manchmal je inne halten, um zu sagen: Gott ist hier in diesem Raum.

Also: „Macht euch keine Sorgen!"

Er ist da! Hier. Was wollen wir mehr?

Ach, was sage ich da –

DU bist. Hier. In diesem Raum. Und das ist gut so. Danke!