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Im Gebet nicht nachlassen

Fastenimpuls von Br. Joel Schmidt OSB.

 Der gregorianische Einzugsgesang zur Messe des heutigen Dienstags spricht angesichts des Krieges in der Ukraine direkt in unsere Zeit hinein:

„Wach auf, warum schläfst du, Herr? Steh auf und verstoße nicht für immer! Warum wendest du dein Angesicht ab, vergisst unsere Not? An der Erde klebt unser Bauch. Steh auf, Herr, hilf uns und befreie uns!“ (Vgl. Ps 43,24-27 - PsR).

Bittere Worte aus den Schlussbitten des 43. Psalms, die das ganze Elend eines Menschen am Tiefpunkt seiner Existenz hörbar werden lassen, der aber dennoch nicht den Glauben daran verloren hat, dass Gott ihm in seiner Situation helfen kann.

Tatsächlich ist dieser Introitus schon im 6. Jahrhundert am Sexagesima-Sonntag in Rom in einer Bitt-Messe in Sankt Paul vor den Mauern gesungen worden, als Rom die Vernichtung durch die einfallenden Langobarden drohte. Wie ernüchternd ist die aktuelle Erkenntnis aus der Geschichte, dass selbst im Europa des 21. Jahrhundert wieder einem Land ein solches Schicksal droht. Aber deshalb seinen Glauben aufgeben? Der Introitus von heute will uns einen anderen Weg weisen. Hören wir hinein:

Die patristische Exegese hat als Beter von Psalm 43 die Märtyrer erkannt, die zu Christus rufen: Sie liegen kraftlos am Boden und versuchen ihn durch einen Weckruf zu mobilisieren (exsurge). Sie fragen ihn klagend, warum er angesichts ihrer Not schläft (quare obdormis Domine?) und bitten ihn noch einmal, sich zu erheben und sie nicht für immer zu verstoßen (exsurge, et ne repellas in finem). Dann sinken sie matt auf die Erde zurück. Sie wenden sich ein weiteres Mal, jetzt drängender, an Gott und fragen ihn, warum er sich von ihnen abwendet (quare faciem tuam avertis [...?]) und klagen laut, warum er ihr Elend vergisst ([quare...] oblivisceris tribulationem nostram?). Taumelnd sinken sie zu Boden: Ihr Bauch klebt am Boden, sie sind nicht mehr weit vom Tod entfernt (adhaesit in terra venter noster).

Doch etwas ist geschehen: Sie wenden sich ein drittes Mal an Gott voll Hoffnung und bitten ihn aufzustehen und ihnen zu Hilfe zu kommen (exsurge, Domine, adjuva nos). In der Gewissheit seines Eingreifens fordern sie ihn zur Rettung auf (et libera nos). So haben sie es gehört, wie es ihre Vorfahren bezeugen (Deus auribus nostris audivimus, patres nostri annuntiaverunt nobis – Vers: Ps 43,2).

Auch wenn es uns heute schwerfällt, die Märtyrer als Vorbild anzunehmen, so zeigt ihr Beispiel eine sichere Erkenntnis: In ihrem fast aussichtslos erscheinenden Gebet haben sie die Kraft und Hilfe Christi erfahren, um die schwersten Prüfungen ihres Lebens überhaupt bestehen zu können. Die Botschaft des Introitus lautet, im Gebet nicht nachzulassen, denn Christus lässt niemanden fallen, der leidet: Selbst in Todesgefahr, wenn sich der Mensch von Gott verlassen fühlt, ist er dem, der zu ihm ruft, ganz nah und hilft ihm auf.

Der römisch-fränkische Komponist hat die Imperative dieses Introitus als Ausdruck des Vertrauens und der Liebe zu Gott verstanden, auch wenn ihm darin das menschliche Elend vorgeworfen wird. Wer Gott anruft, öffnet einen Zugang zu ihm, durch den er von innen her helfen kann. Hören wir deshalb besonders in dieser Fastenzeit nicht auf, auch stellvertretend für die Menschen im Krieg zu beten im festen Glauben daran, dass ER niemals schläft, der zu unserem Heil gestorben aber auferstanden ist.