Predigten

Gott – ein Geheimnis.

Predigt von P. Fidelis Ruppert OSB am Dreifaltigkeitssonntag im Mai 2021.

Schwestern und Brüder!

Vermutlich gibt es einfachere Themen, als eine Predigt zu Dreifaltigkeit. Als mir diese Predigt zufiel, war ich etwas hilflos. Wie komme ich in dieses Thema hinein? Aber dann fiel mir meine erste Dreifaltigkeitspredigt ein, die ich vor mehr als 50 Jahren gehalten habe. Es war 1969, also eine Zeit, die mindestens so chaotisch war wie heute – in Kirche und Gesellschaft.

Ein theologisches Thema wurde damals besonders heftig diskutiert: die Frage nach dem Gottesbild. Wie soll man sich Gott vorstellen? Haben wir nicht völlig falsche Vorstellungen von Gott? Man sprach von zerbrochenen Gottesbildern, von einer Gott-ist-tot-Theologie. Veraltete Gottesbilder sollten absterben, damit eine neue Beziehung zu Gott möglich wird.

Das waren wuchtige Worte, aber es gab noch kaum eine Vorstellung, wie man denn anders, neu über Gott sprechen könnte.

Und da sollte ich auch noch über Dreifaltigkeit predigen, wenn selbst die Gottesfrage so ungelöst war? Ich war ziemlich ratlos. Tagelang rotierte ich – ohne klare Gedanken.

Da kam mir ein göttlicher Zufall zu Hilfe. Wie zufällig fiel mir ein Artikel über die Gottesvorstellung des Volkes Israel in die Hände. Dort wurde erläutert, dass Israel nicht theoretisch über Gott redet oder seine Existenz zu beweisen sucht, sondern wenn es um die Frage nach Gott geht, dann erzählen sie einfach Geschichten: Über Gott, der mit Abraham durch die Welt zog und ihm immer nahe blieb. Über den Gott, der sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten herausgeführt hat, der in der Lage war, sein Volk in der Wüste zu füttern und zu tränken, dass sie überleben konnten, und der ihnen schließlich in Blitz und Donner am Sinai erschienen ist.

Dort offenbart er auch seinen Namen: „Jahwe – ich bin, der ich bin, oder: ich bin der, der da ist.“ ER ist immer da, immer mit ihnen. Das zu wissen genügt. Gott ist keine Theorie, sondern eine Erfahrung, eine Lebenserfahrung.

Dieser Blick auf Israel war für mich wie eine Erleuchtung. Es war mir klar: ich könnte auch solche Geschichten erzählen, Geschichten mit Gott. Und heute nach mehr als 50 Jahren gäbe das einen großen Roman, mit all diesen Geschichten. Da ging mir auf: von diesen Geschichten lebe ich ja, von diesen Erfahrungen, an die ich mich immer wieder und sehr gerne erinnere.

Ich muss nicht genau definieren und erklären können, wer und was Gott ist, ob und warum es ihn wohl gibt – aber ich weiß, wie es sich anfühlt, mit ihm unterwegs zu sein, IHM immer wieder mal zu begegnen und aus dieser Begegnung zu leben.

Aber: ich hätte da nicht nur nette Geschichten zu erzählen, die Lust auf Gott machen; es gäbe auch Geschichten, wo es um Enttäuschung geht, um Ärger mit Gott, um dunkle und chaotische Wegstrecken, wo ER wie abwesend war.

So war es auch in der Beziehung des Volkes Israel zu seinem Gott. Auch diese Beziehung war nicht immer nett. Sie war oft problemgeladen, ein ständiges Auf und Ab, ein ständiger Wechsel zwischen Treue und Untreue, Vertrauen und Enttäuschung. Immer wieder mussten sie sich zusammenraufen – ER mit ihnen und sie mit ihrem Gott – so geht es seit Jahrhunderten, aber so geht’s auch!

Es ist wie bei einer dynamischen Ehe oder in einer Klostergemeinschaft, wo man viel Auf und Ab erlebt und viel Schwieriges miteinander durchgestanden hat: dadurch wächst man zusammen. Eine krisenerprobte Beziehung ist tragfähig und fürchtet sich auch vor künftigen Krisen nicht.

Und wer schon manche Glaubenskrise hinter sich hat, braucht heute an unsrer verworrenen Zeit nicht irre werden, denn irgendwie kennt man das ja schon….

Lebenskrisen müssen nicht das Gottvertrauen zerstören. Ich habe dazu eine bewegende Geschichte gelesen. Jehuda Bacon, ein Jude, der die Shoa überlebt hat, war als 12-jähriger Junge ins KZ eingeliefert worden. Als er im Alter auf sein Leben zurückblickt und gefragt wird, ob diese KZ-Erfahrung seinen Glauben erschüttert habe, sagte er, diese furchtbaren Erlebnisse hätten seinen Glauben nicht erschüttert. Im Gegenteil! Wenige Tage vor dem Abtransport ins KZ habe ein jüdischer Lehrer in der Schule gesagt: „Kinder, in jedem ist ein Funke Gottes und mit der Zeit wird er zur Flamme und dann werdet ihr ganz von Gott erfüllt sein.“ Diese Worte seien immer tiefer in seine Seele eingedrungen und davon habe er gelebt. Er habe viele Menschen erlebt, die an ihrem Glauben verzweifelten, weil Gott sie nicht befreite; diese hätten Gott von außen erwartet. Für ihn habe der Glaube etwas mit der Tiefe zu tun gehabt, die im Herzen des Menschen brennt – mitten in all dem Leid. Damit habe er überlebt, ohne Vorwürfe gegen seinen Gott. Gottes Funke war ja immer in ihm.

Wenn wir uns an Lebenserfahrungen erinnern, an Glaubenserfahrungen, wo Gott uns ganz nahe war, in guten Tagen und auch in schweren Tagen, dann interessiert uns sicher nicht so sehr, wie man jetzt diesen Gott beschreiben oder erklären oder begründen kann, auch nicht, wie man so ein Dogma wie die Dreifaltigkeit erklären könnte.    

Wir spüren dann eher, wie geheimnisvoll unsere Beziehung zu Gott ist und wie geheimnisvoll die Beziehung Gottes zu mir. Eine Beziehung, in der Licht und Dunkel, Enttäuschung und Freude, Kampf und Liebe so eng beisammen liegen. Wir wissen nicht, wie das alles zusammenspielt, wir können es nicht erklären, aber wir können es leben, wir wissen, wie es sich anfühlt: diese undurchschaubare geheimnisvolle Gegenwart Gottes in meinem Leben.

Romano Guardini hat einmal über dieses Geheimnis gesagt:

"Je älter ich werde, desto größer wird das Geheimnis in allem, was geschieht.
Aber auch etwas anderes geschieht: Das Geheimnis wird bewohnbar.“

Die geheimnisvolle Gegenwart Gottes in unserem Leben wird bewohnbar, diese geheimnisvolle Gegenwart ist wie ein Raum, der uns umgibt, wie ein Raum, in den wir eintreten können, wie ein Raum, in dem ich leben – und irgendwann auch sterben kann.  Amen