Predigten

Heidnische Frau als Vorbild

Predigt von P. Fidelis Ruppert OSB am Sonntag der 20. Woche im Jahreskreis.

Liebe Schwestern und Brüder!

Jesus benimmt sich heute reichlich grob – auch noch einer Frau gegenüber.

Und außerdem reagiert er rassistisch und diskriminierend, wie wir es heute nennen würden. Es ist eine heidnische Frau aus dem Gebiet von Tyrus und Sidon. Die Leute von dort wurden damals von den Juden verachtet. Auch Jesus will mit dieser Frau nichts zu tun haben, er antwortet nicht einmal auf ihre Bitte. Erst als die Jünger ihn drängen, sagt er etwas, schiebt aber den Wunsch der Frau grob auf die Seite: "Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt."

Fachleute sagen uns, dass Jesus sich wohl ursprünglich nur als Messias für Israel verstand und keine Sendung zu den Heiden im Blick hatte. Damit kann man theologisch sein Verhalten erklären, aber unfreundlich ist es doch, gegenüber dieser Mutter, die um ihre Tochter bangt. Als die Frau trotzdem nicht locker lässt, wird Jesus geradezu unverschämt und beleidigend: "Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen." Jetzt werden die Heiden, zu denen die Frau gehört, auch noch mit Hunden verglichen. Das würde heute die Anti-Diskriminierungsbeauftragten auf den Plan rufen.

Aber diese fremde Frau hat Selbstbewusstsein. Sie lässt sich nicht beleidigen. Souverän greift sie diesen beleidigenden Vergleich auf und wirft ihn auf Jesus zurück: "Ja, Herr! Aber selbst die kleinen Hunde essen von den Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren fallen." Das ist entwaffnend. Jesus ändert sein Verhalten und lenkt ein – und die Tochter wird gesund.

Was machen wir nun mit dieser Geschichte? Sie passt nicht recht in unser normales Jesusbild. Dass er mit den Pharisäern grob umgeht und dass er dem vorlauten Petrus gelegentlich den Kopf wäscht, dafür haben wir viel Verständnis. Aber dass er mit einer Frau so grob und beleidigend umgeht, das ist einmalig, wo er doch sonst sehr sensibel gegenüber Frauen ist.

Wie gesagt, theologisch kann man sagen, er habe halt seine Aufgabe noch nicht als Sendung an die Heiden verstanden, aber menschlich ist sein Verhalten so richtig peinlich. Müsste er nicht doch in jedem Fall liebevoll und rücksichtsvoll sein, so richtig "christlich"? – wie wir es gerne hätten…

Man könnte natürlich auch die Gegenfrage stellen: Ist es denn so schlimm, dass Jesus auch mal danebenlangt? Muss ein Vorbild immer ganz fehlerlos sein? Ist denn Fehlerlosigkeit überhaupt ein Ideal in der Bibel? Ist es nicht sehr menschlich, wenn Jesus durch Fehler etwas dazulernt? Es ist bemerkenswert, dass diese Geschichte nicht nur hier bei Matthäus erzählt wird, sondern auch bei Markus. Anscheinend haben die Evangelisten nicht versucht, diese Geschichte zu vertuschen. Was ist aber ihre Botschaft?

Heute ist diese Frau der Mittelpunkt des Evangeliums, eine heidnische Frau.

Das Verhalten dieser besorgten Mutter ist bemerkenswert. Sie wirkt erstaunlich souverän. Sie lässt die unfreundlichen Worte Jesu einfach an sich vorbeisausen und wiederholt ruhig ihre Bitte. Schließlich wirft sie Jesus sein Wort von den kleinen Hunden zurück und entwaffnet ihn: auch die kleinen Hunde haben doch wenigstens die Brosamen zu bekommen.

Auf die harten Worte Jesu reagiert sie nicht beleidigt oder aggressiv, sondern sie handelt gewaltfrei und mit souveränem Humor. Das war ihre "Waffe".

Der Mönchsvater Johannes Cassian spricht von den Waffen der Milde und der Sanftmut. Milde und Sanftmut gegen sich selbst und gegen andere hat oft eine stärkere Wirkung als grobes Reagieren. Mit den Waffen der Milde und des Humors hat diese Frau das Herz Jesu getroffen. Mit Erfolg!

So erscheint diese Frau als ein Vorbild; sie hat eigentlich im Sinne der Bergpredigt friedlich und gewaltfrei gehandelt – obwohl sie die Bergpredigt ja gar nicht kannte.

Wir könnten auch sagen: Diese heidnische Frau hat ganz "christlich" reagiert, geradezu vorbildlich – mit den Waffen der Milde und des Humors.

Aber Jesus kann auch als Vorbild dastehen, er hat sich von dieser Frau belehren und bekehren lassen. Es ist ja gar nicht so einfach, sich Kritik gefallen zu lassen und Kritikern recht zu geben. Und hier ist es der große Rabbi Jesus, der auf eine Frau, auf eine Heidin, auf eine Ausländerin hört und sich von ihr umstimmen lässt.

Es geht im Leben nicht darum, ob wir fehlerfrei sind – was ja überhaupt nicht geht. Es gibt genug Dinge, die im Leben etwas krumm sind – bei Ihnen und auch bei mir. Entscheidend ist, dass wir bereit sind, uns mit unseren Schwächen und Fehlern auseinanderzusetzen, egal, wer uns da kritisch den Spiegel vor die Nase hält. Das ist nicht angenehm, aber heilsam – wie sich am Evangelium ablesen lässt.

Ob nun diese heidnische Frau eine Jüngerin Jesu wurde, wissen wir nicht. Auf jeden Fall war sie eine kleine Lehrmeisterin für Jesus – und hoffentlich auch für uns. – Das ist/wäre schon eine ganze Menge.

Amen.