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Predigten

Dem Herrn den Weg bereiten

Predigt von P. Anselm Grün OSB am 2. Adventssonntag.

Am zweiten Adventssonntag steht Johannes der Täufer im Mittelpunkt. In diesem Jahr hören wir die Deutung, die Lukas dem Vorläufer Jesu gibt. Als Geschichtsschreiber stellt er Johannes in einen geschichtlichen Rahmen. Es war eine konkrete Zeit, in der der Ruf Gottes an Johannes erging. Lukas will uns damit sagen: Jetzt in dieser konkreten Zeit, in der Zeit, in der uns die Corona-Krise neu eingeholt hat, in dieser Zeit, die voller Angst ist vor einer Klimakatastrophe, ergeht an uns heute der Ruf Gottes. Wie damals an Johannes ruft uns Gott heute zur Umkehr auf, zum Umdenken, zu einem neuen Denken. Wir spüren durch die Pandemie, dass wir nicht einfach so weiter  machen können wie bisher. Es braucht um Umdenken und eine Umkehr in unserem Verhalten.

Johannes deutet das Umdenken und Umkehren in Bildern: Es besteht darin, dass wir die Straßen gerade machen, die Schluchten auffüllen und Berg und Hügel abtragen, das Krumme gerade und das Unebene eben machen sollen. Johannes bezieht sich in diesen Bildern auf den Brauch in der Antike, beim Kommen des Kaisers oder Königs, die Straßen auszubessern, sie gerade zu machen und zu schmücken. Das wird für Lukas zum Bild für uns. Das Umdenken besteht darin, gerade Wege zu gehen, anstatt verschlungene Pfade. Es braucht eine gerade Ausrichtung unseres Denkens, anstatt uns mit tausend Ausreden um die innere Klarheit herum zu drücken. Und es braucht Geradlinigkeit in unserem Verhalten. Die Abgründe unserer Seele gilt es anzuschauen, damit sie uns nicht in die Tiefe ziehen. Was angeschaut wird, kann auch verwandelt werden. Und die Berge an Hemmungen, an Blockaden, an Ängsten und Zwängen, die uns am Leben hindern, müssen abgetragen werden. Die Hügel an quälenden Sorgen, die auf uns lasten, gilt es, einzuebnen. Das Krumme soll gerade werden. Augustinus deutet die Sünde als Verkrümmung des Menschen. Wir verkrümmen uns, wenn wir uns von unserer Gier oder unserem Machtbedürfnis beherrschen lassen. Wir verbiegen uns vor andern, damit wir bei ihnen beliebt und anerkannt sind. Und unser Weg zu Gott ist oft holprig. Wir stolpern über unsere mangelnde Disziplin, über unsere Schwächen und Gewohnheiten, die sich bei uns eingeschlichen haben. 

Das Ziel all dieser Bemühungen ist, dass Gott zu uns kommen kann. Wir feiern den Advent, die Ankunft Gottes mitten unter uns. Das ist die Frohe Botschaft des Advents: Gott kommt zu uns. Doch es braucht von unserer Seite eine Vorbereitung, dass Gott wirklich in unser Herz findet. In ein verkrümmtes Herz, in ein Herz, das sich hinter einem Berg von Angst und Ärger verbirgt, kann Gott nicht eintreten. Advent bedeutet, dass wir zuerst einmal bei uns selbst ankommen, damit Gott in uns ankommen kann. Was hindert uns, zu uns selbst zu kommen? Es ist oft die Angst, der eigenen Wahrheit ins Auge zuschauen. Wir wollen vor den Abgründen unserer Seele lieber die Augen verschließen. Wir trauen lieber den Illusionen, die wir von uns gemacht haben, den Illusionen, dass wir doch schon in Ordnung sind, dass doch alles in uns stimmt. Doch wenn wir uns in der Adventszeit gönnen, einfach einmal still zu werden, dann werden wir erfahren, dass sich da manche Abgründe in uns auftun, und manches Krumme in uns sichtbar wird. Wir sind nicht in Berührung mit unserem Herzen, mit unserer Wahrheit. Wir sind nicht bei uns. Wenn wir ehrlich in uns hineinschauen, machen wir eine ähnliche Erfahrung wie der hl. Augustinus, der von sich schreibt: „Du mein Gott standest vor mir. Ich aber war mir selber weggelaufen und fand mich selber nicht mehr, wieviel weniger dich.“ Wir laufen vor uns selber weg in tausend Aktivitäten oder in die Neugier nach immer neuen Informationen. Die Adventszeit lädt uns ein, zu uns zurückzukehren. Wenn wir nicht bei uns sind, wird Christus vergeblich bei uns anklopfen. Wir werden sein Klopfen nicht hören. Die Umkehr, die Johannes predigt, heißt für uns zuerst Rückkehr zu uns selbst. Unsere Rückkehr ist die Bedingung für die Einkehr Jesu bei uns.

Viele klagen, dass sie Gott nicht spüren. Auch in der Adventszeit spüren sie Gott nicht. Sie haben das Gefühl, dass Gott ihnen ferne ist. Doch wenn wir uns selber ferne sind, können wir auch Gottes Nähe nicht spüren. Der hl. Cyprian von Karthago ist überzeugt: Wenn du selbst nicht auf dich hörst, wird Gott nicht auf dich hören. Wenn du dich selbst nicht spürst, vermagst du auch Gott nicht zu spüren. Daher geht es in der Adventszeit zuerst einmal darum, sich selbst zu spüren. Doch auch wenn sie sich selbst spüren, werden viele sagen: Dann spüre ich noch lange nicht Gott. Ein Weg, Gottes Kommen zu spüren, wäre, seine Sehnsucht zu spüren. Die Sehnsucht nach Gott können wir spüren. Wenn wir uns vor eine brennende Kerze setzen, steigt in uns die Sehnsucht nach einer Liebe hoch, die alles in uns verwandelt, und nach einem Licht, das alles in uns erleuchtet. Wenn wir die Hände in die Brustmitte halten, spüren wir in uns die Sehnsucht nach Liebe, nach Geborgenheit, nach Heimat, letztlich nach Gott. In der Sehnsucht nach Liebe ist schon Liebe, sagt der französische Schriftsteller Antoine de Exupery. Das bedeutet auch: In der Sehnsucht nach Gott ist schon Gott. Die Sehnsucht ist die Spur, die Gott in unser Herz gegraben hat. Sie ist die ebene Straße, auf der Gott zu uns kommt, um bei uns einzukehren.

Der Ruf, dem Herrn den Weg zu bereiten, ergeht dem Johannes in der Wüste. So braucht es auch für uns solche Wüstenzeiten, in denen wir uns zurückziehen vom Lärm der Welt, in der wir in der Stille in uns hineinhorchen. Das Ziel dieses Hineinhorchens in die Stille, das Ziel des Umdenkens und der Wegbereitung ist, dass wir das Heil Gottes schauen. Das griechische Wort „Soteria“ meint Heilung unserer Wunden, Rettung vor den Feinden, vor allem von den inneren Feinden, vor dem inneren Richter, der uns ständig verurteilt, der uns ständig sagt: Du bist an allem schuld, du stehst im Weg, du bist nicht richtig. Und es meint Befreiung von allen Lebensmustern, die uns im Griff haben, von unseren inneren Zwängen, von Ängsten, die uns heimsuchen, und von irgendwelchen Gedanken, die ständig im Kopf herumschwirren und uns durcheinander bringen.

In der Einheitsübersetzung heißt es: Alle Menschen werden das Heil Gottes sehen. Doch bei Lukas heißt es: „Alles Fleisch“. Das bedeutet: Wir, die mit unseren irdischen Sorgen beschäftigt sind, die von Leidenschaften beherrscht werden, die ganz irdisch sind und irdisch denken, werden das Heil Gottes schauen. Und indem wir schauen, werden wir selbst heil und ganz, kommen wir in Berührung mit dem Gesunden und Heilen in uns. Jetzt in dieser Eucharistiefeier betreten wir einen heiligen Raum, schaffen wir eine heilige Zeit. Heilig ist das, was der Welt entzogen ist. In der heiligen Zeit können wir aufatmen. Die Griechen sagen: Nur das Heilige vermag zu heilen. So treten wir jetzt in den heiligen Raum der Liturgie, damit unsere Seele mitten in all dem Irdischen, mitten in all den alltäglichen Sorgen und Ängsten heil wird und ganz und wir in uns den heiligen Raum erfahren, in dem wir schon heil sind und ganz. Amen.