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Invicem - auf Augenhöhe

Predigt von Abt Michael Reepen OSB und Bildergalerie am Gründonnerstag.

Liebe Mitbrüder,

inzwischen ist „invicem“ für uns kein Fremdwort mehr, der hl. Benedikt erwähnt es oft in der Regel und dieses Wort hat uns durch die Fastenzeit begleitet. Wir sind dran, dass „invicem“ kein Wort bleibt, sondern konkret wird in unserem Miteinander in der Gemeinschaft!

„Invicem“, liebe Schwestern und Brüder, ist das lateinische Wort für gegenseitig, wechselseitig, einander.

Der hl. Benedikt gebraucht dieses Wort immer wieder in seiner Regel:

Die Brüder sollen einander dienen. (RB 35,1)
Sie sollen einander zuvorkommen. (RB 22,6)
Sie sollen sich gegenseitig ermuntern. (RB 22,8)
Sie sollen einander in wechselseitiger Achtung zuvorkommen. (RB 63,17//72,4)
Im gegenseitigen Gehorsam sollen sie miteinander wetteifern. (RB 72,6)
Die Bruderliebe sollen sie einander selbstlos erweisen. (RB 72,8)

In der Gemeinschaft sind wir auf dieses invicem gekommen über das Thema der Macht, den Missbrauch der Macht, der die Ursache vieler Krisen heute ist.

Wir sprachen über das Ende der Hierarchie und kamen zum Thema Verantwortung, die Eigenverantwortung und der Verantwortung für einander. Da sind wir auf das Einander, auf das Gegenseitige, das Wechselseitige gekommen. Eben nicht von oben nach unten, sondern eher von rechts und links; auf Augenhöhe: einander wahrnehmen, einander zuhören, gegenseitig sich achten, gegenseitig sich dienen, füreinander da sein…

Liebe Schwestern und Brüder,

wir haben eine Religion auf Augenhöhe: Gott ist nicht oben, irgendwo in der Höhe, weit weg vom Menschen; Gott ist mit uns, er kommt runter auf unsere Ebene, in Jesus ist er auf Augenhöhe mit uns.

Heute Abend geht er noch weiter in seiner Liebe zu uns. Er geht noch tiefer. Jesus beugt sich hinab zu den Füßen seiner Jünger und wäscht sie. Er beugt sich zu unseren Füßen.

Auf Augenhöhe kann man immer noch ziemlich viel Macht ausüben. Der Blick kann schon noch sehr mächtig sein. Aber wenn ich mich bücke, wenn ich dem Anderen den Nacken hinhalte – was im Tierreich meint: ich ergebe mich, ich mache mich verletzlich und schutzlos –, dann hat das sehr viel mit Vertrauen, Hingabe und Liebe zu tun.

Jesus beugt sich voll Liebe zu meiner vom Kopf und Herz am weitesten entfernten Stelle – zu meinen Füßen, deren Unterseite ich nicht sehe.

Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße – dabei hält er keine Rangordnung ein, sonst müsste er wohl Simon Petrus als einem der ersten die Füße waschen.

Es heißt: „Als er zu Simon Petrus kam…“ (Joh 13,6). Das bedeutet: Er hat schon anderen vorher die Füße gewaschen.

In der syrisch-orthodoxen Tradition gibt es die Aussage, dass die Feindesliebe höher ist als die übliche Nächstenliebe; und noch höher ist es, wenn jemand seinem Verräter die Füße wäscht und sie auch noch küsst. Und Jesus hat in dieser Tradition die Fußwaschung bei Judas begonnen und Petrus sei der letzte gewesen!

Jesus wendet sich Judas zu auch im Wissen um dessen Unreinheit. Es ist ja interessant, dass Jesus von „Reinheit“ spricht, als Petrus zu ihm sagt: „Herr, wasch mir nicht nur die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt“ (Joh 13,9). Jesus antwortet: „Wer vom Bad kommt, ist ganz rein […]. Auch ihr seid rein, aber nicht alle. Er wusste nämlich, wer ihn verraten würde“ (Joh 13,10-11).

„Rein“ meint: sauber, frei, gesittet, pur, unvermischt, anständig. Jesus gebraucht dieses Wort auch im 15. Kapitel des Johannesevangeliums, beim Gleichnis vom Weinstock: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet der Vater ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt. Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe. Bleibt in mir; ich bleibe in euch“ (Joh 15,2-4a).

Wenn Jesus hier im Evangelium von „rein“ spricht, dann meint er das „In-ihm-Bleiben: wer in ihm bleibt, wer an ihm „dran“ bleibt, ist rein; wer sein Wort hört, ist rein.

Judas ist nicht in ihm geblieben. „Er ging hinaus. Es war aber Nacht“ (Joh 13,30). Er ist nicht am Weinstock geblieben. So wurde er wie die Reben weggeworfen und im Feuer verbrannt.

Wir sind heute Abend hier, weil wir am Weinstock, an Jesus dran sind. Als solche, die an Jesus dranbleiben, sind wir „reine“ Menschen. „Rein“ ist bei uns oft moralisch belegt. Es geht aber nicht darum, irgendwie „besser“ zu sein, sondern: Wer an Jesus dranbleibt, wer in seiner Liebe bleibt, der ist rein. Allein die Sehnsucht nach ihm, die reicht aus, um rein zu sein.

Schließen sie mal die Augen und sagen sie einmal zu sich: Jesus ist in mir, seine Liebe ist in mir: Ich bin rein! 

Diese Reinheit, dieses von Jesus berührt sein, diese Liebe sollen wir nicht für uns behalten. Deshalb der Auftrag Jesu: „Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen“ (Joh 13,14).

Da ist es wieder, das invicem, das Einander, das Gegenseitig, das Wechselseitig – einer diene dem anderen – das ist unser Auftrag in der Welt!

Den Freunden gerne, aber auch denen, die ich nicht mag, die gegen mich sind, ja sogar meinen Feinden!

In diesem Sinne wollen wir nun einander die Füße waschen.

Amen.