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Er ist unsere Mitte

Seit 60 Jahren ist das Antonia-Werr-Zentrum in St. Ludwig im Einsatz für Mädchen und junge Frauen in herausfordernden Lebensumständen. Zur Feier des Jubiläumstages Ende Juli kamen zahlreiche Gäste. Den Festgottesdienst feierte Abt Michael Reepen – denn zwischen der Abtei und St. Ludwig besteht eine ganz besondere Beziehung.

Von Beginn an seien die Missionsbenediktiner der Abtei Münsterschwarzach eng mit St. Ludwig und den Oberzeller Franziskanerinnen verbunden, betonte die Geschäftsführerin und Gesamtleiterin des AWZ Anja Sauerer zur Begrüßung. „Die Verbindung zwischen unseren Gemeinschaften ist eine unwandelbare Mitte, die uns trägt“, bestätigte sie gegenüber Abt Michael Reepen, der dem Festgottesdienst vorstand. Gerade in Zeiten der Unsicherheit und des schnellen Wandels sei es wichtig, eine Mitte zu haben, „die von Werten geprägt ist, einen stabilen Halt gibt und notwendigen Wandel möglich macht“. Jesus Christus, so Sauerer weiter, sei ein solcher „unerschütterlicher Mittelpunkt“, „er gibt uns Halt, Kraft und Orientierung, seine Liebe ist die unwandelbare Mitte unseres Lebens“.

Abt Michael verknüpfte in seiner Predigt Geschichte vom Kastanienbaum aus der Lesung mit dem Ort St. Ludwig und dem Evangeliumstext (Lk 11,1-13). Wie das fiktive Dorf aus der Kraft des alten Kastanienbaums als unwandelbare Mitte lebt, haben auch die Benediktiner 1901 in St. Ludwig einen Kastanienbaum gepflanzt. „Die Kirche war der Mittelpunkt unserer Gemeinschaft hier“, so Abt Michael. Als sie ab 1913 nach Münsterschwarzach übersiedelten und St. Ludwig 1963 schließlich ganz verließen, hätten sie ihren Kastanienbaum mitgenommen, denn „sie haben gespürt: die Mitte ist in ihnen, dieser Jesus, um den sich ihr Leben dreht, der geht mit, er ist unwandelbar, wandelbar“. Genau das habe dann in der Abteikirche seinen Ausdruck gefunden.

Die Kirche von St. Ludwig sei dagegen ab 1965 zum Kastanienbaum für die Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu geworden. „Dort trafen und treffen sich die Schwestern, um Kraft im Gebet zu tanken für ihre Arbeit“ – und mit der Zeit sei ganz St. Ludwig zu einem Kastanienbaum für die Mädchen, Erziehrinnen und Erzieher geworden.

Auch Jesus sei ein solcher Kastanienbaum: Obwohl die Jüngerinnen und Jünger in Jesu Nähe heil und lebendig wurden, ließen sie sich durch eine andere Botschaft verführen. Ihnen wurde die Mitte entrissen – bis sie an Ostern erfahren durften: „Jesus ist nicht tot, er lebt in uns, der Auferstandene ist in uns lebendig, die Mitte ist nicht außerhalb, sie ist in uns.“ Allen, die im Antonia-Werr-Zentrum ein- und ausgehen, wünschte Abt Michael, „dass wir spüren dürfen, dass diese Mitte in uns ist, und dass wir auf diese Mitte vertrauen: Sie ist da – Er ist in uns - Sie ist unwandelbar.“

An den Gottesdienst schlossen sich Dankesworte an die Schwestern Aurelia Müller, Irmgard König, Wilhelma Söldner, Reginarda Holzer und die verstorbene Agnella Kestler an, es folgten Grußworte des Schweinfurter Landrates Florian Töpper, der Vorsitzenden des AWZ-Förderkreises Jutta Leitherer, der bisherigen Generaloberin Schwester Dr. Katharina Ganz und ihrer Nachfolgerin Schwester Juliana Seelmann. Im Anschluss durfte beim traditionellen Sommerfest kräftig gefeiert werden – mit Basar, Kinderprogramm, Vorführungen, Hausführungen und Einblicken in die pädagogische Arbeit.

Anja Legge

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Info: Der Ursprung von St. Ludwig (Wipfeld) liegt in den dortigen Schwefelquellen, die bereits 1810 gefasst wurden. 1823 besuchte die bayerische Königin Theresia Charlotte die Heilquellen, ihr Gemahl König Ludwig I. gestattete die Umbenennung in „Ludwigsbad“. Obwohl zwischen 1850 bis 1880 jährlich bis zu 400 Kurgäste zu Gast waren, konnte sich das abgelegene Bad nicht behaupten.

Am 12. Juli 1901 unterzeichneten die Missionsbenediktiner von St. Ottilien den Kaufvertrag für das ruinöse Anwesen, kurz später zogen zwei Brüder ein, bereits Ende August begannen 32 Jungen in St. Ludwig ihre Ausbildung. Trotz vieler Entbehrungen fasste die benediktinische Neugründung Fuß, ab 1902 wurden die Gebäude zum Internat umgebaut. Da sich der Ort dennoch rasch als zu klein erwies, zogen die Mönche 1913 nach Münsterschwarzach um: Am 16. April 1914 fand die Abtsweihe des ersten Abtes von Münsterschwarzach in St. Ludwig statt.

St. Ludwig blieb zunächst Ausbildungs- und Erholungsstätte der Benediktiner. 1920 wurde mit der Ausmalung der Kirche im Beuronerstil begonnen. Nach zeitweiser Schließung während des 2. Weltkrieges und unterschiedlichen Zwischennutzungen konnte im September 1946 der Unterricht wieder aufgenommen werden. Als 1963 das Internat in die Abtei verlegt wurde, übernahmen die Oberzeller Franziskanerinnen das Anwesen. In zweijähriger Bauzeit errichteten sie ein Mädchenheim, 1967 entstanden Schulgebäude und Werkstätten. Seit der letzten großen Generalsanierung (1997-2003) heißt das Mädchenheim Antonia-Werr-Zentrum.

Heute ist das AWZ eine heilpädagogisch-therapeutische Einrichtung der Jugendhilfe für Mädchen und junge Frauen im Alter von 11 bis ca. 21 Jahren, die aus schwierigen, zum Teil traumatisierenden Lebenssituationen kommen. Die Einrichtung verfügt über 75 vollstationäre Plätze in 10 Gruppen, ambulante Hilfen, die staatlich anerkannte Von-Pelkhoven-Schule und zwei eigene Ausbildungsbetriebe für die Bereiche Hauswirtschaft und Gärtnerei. Ziel der Förderung ist die personale, soziale, schulische und berufliche Integration der Mädchen und jungen Frauen. Seit 2021 ist das AWZ ein anerkanntes Institut zur Weiterbildung in Traumapädagogik und Traumafachberatung.