Von Hildegard lernen
Regelmäßig bietet das Gästehaus der Abtei Münsterschwarzach „Geistliche Impulse für Einzelgäste“ an. Im Juni 2025 ging es dabei um Klostermedizin und Pflanzenheilkunde.
Treffpunkt für die Mini-Exkursion mit Br. Joseph Ritter war nicht zufällig der letzte Seitenaltar der Abteikirche auf der rechten Seite. Das steinerne Relief zeigt die Heilige Hildegard von Bingen, eine „Frau mit großer Wirkung, die wie so viele lange sanft in die Versenkung geschoben war“, berichtete Br. Joseph. Lange Zeit vergessen, erlebte die Ordensfrau aber in den 1980er Jahren ein Revival und wurde 2012 gar heiliggesprochen.
Die Pflanzenheilkunde stehe in der Tradition der antiken Medizin und sei nah an der heutigen Schulmedizin, so Br. Joseph weiter. Das Wissen um die biochemischen Inhaltsstoffe und die empirisch nachweisbaren Wirkungen seien dabei „die große Stärke und zugleich die größte Schwäche“ dieser Disziplin. Denn: „Gerade bei chronischen Krankheiten hilft rein empirisches Wissen oft nicht zu 100 Prozent weiter.“ Hier sei die Klostermedizin eine wertevolle Ergänzung, weil sie „den Blick weitet“: Aus der Naturphilosophie kommend betrachte sie das große Ganze – Mikrokosmos und Makrokosmos, das gesunde Gleichgewicht, Körper und Seele.
Auch das Welt- und Menschenbild Hildegards ist bestimmt von den Naturkräften des Kosmos. In ihren Schriften weist sie der Seele eine zentrale Rolle zu und wird damit zur Vordenkerin einer ganzheitlichen Medizin. Das umfangreiche Schriftwerk der zielstrebigen und eigenwilligen Ordensfrau enthält auch die medizinischen Schriften „Causa et curae“ und „Physica“. Sie sind vom Blick aus der Praxis und einem feinen Gespür für den Menschen geprägt und fassen das Erfahrungswissen der Zeit zusammen. Krankheiten beschreibt Hildegard nach der so genannten Säftelehre, Heilkräuter teilt sie in die Qualitäten „warm / kalt“ sowie „trocken / feucht“ ein. Angewendet werden die Pflanzen in Form von Aufgüssen, Tinkturen, Umschlägen, Salben oder als pulverisierte Zugabe in Wein oder Wasser.
Bei einem Rundgang durch den Gästegarten stellte Br. Joseph ausgewählte Heilkräuter vor. Dabei wurde deutlich, wie nah die Erfahrungen der mittelalterlichen Ordensfrau an den modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen liegen. Im Juni kaum zu übersehen ist der in voller Blüte stehende Lavendel, an dem sich unzählige Insekten tummeln. Die mediterrane Pflanze wirkt beruhigend, entzündungshemmend und antioxidativ.
Vorbei am gerade verblühten Roten Purpursonnenhut (Echinacea), dessen Extrakte auch heute gegen Erkältungskrankheiten eingesetzt werden, geht es weiter zur Rose. Die betörend duftenden Blütenblätter sollen bei Augenleiden helfen und die Augen „klar machen“. Die enthaltenen Gerb- und Bitterstoffe, Flavonoide und Polysaccharide können gegen Geschwüre und Krämpfe eingesetzt werden, wirken nach Erfahrung Hildegards aber auch gegen Jähzorn: „Wer in seinem Zorn ungestüm ist, nehme Rose und weniger Salbei, zerreibe sie zu Pulver und halte sie in dem Augenblick, wenn der Zorn in ihm hochsteigt, wegen des guten Dufts an seine Nase, denn die Rose macht fröhlich und Salbei tröstet.“
Der mit dem Rosmarin verwandte Salbei gedeiht laut Hildegard „mehr durch die Wärme der Sonne als durch die Feuchtigkeit der Erde“. Den silbrig-rauen Blättern schreibt sie entzündungshemmende, entgiftende und durchblutungsfördernde Wirkung zu. Den Thymian wiederum empfiehlt Hildegard gegen Atemnot, Asthma und Keuchhusten; dank des enthaltenen Pflanzenwirkstoffs Thymol soll er auch gegen Pilz- und Hauterkrankungen helfen sowie appetitanregend und verdauungsfördernd wirken.
Den Schlusspunkt des Rundgangs bildete der Ginko, der mit einem geschätzten Alter von 300 bis 400 Millionen Jahren zu den ältesten Pflanzen überhaupt gehören soll. In Asien als „Baum der ewigen Jugend“ verehrt sollen seine Blätter die Gehirndurchblutung fördern und präventiv gegen Alzheimer und Gefäßerkrankungen wirken.
Anja Legge
Hildegard von Bingen wurde 1098 als zehntes Kind adliger Eltern in Bermersheim bei Alzey geboren. Bereits im zarten Alter von acht Jahren wird Hildegard der Klausnerin Jutta von Sponheim zur geistlichen Erziehung übergeben. Die Klause war an das dortige (Männer-)Benediktinerkloster angebaut. Trotz aller Abgeschiedenheit muss Hildegard dort ihre umfassende Ausbildung erhalten haben. Mit 15 Jahren legte sie die Gelübde ab, wurde Benediktinerin und im Alter von 38 Jahren schließlich zur geistlichen Mutter des gerade entstehenden Frauenklosters gewählt.
Hildegard hatte wohl schon als Kind Visionen, in denen sich ihr die tieferen Geheimnisse der göttlichen Schriften erschlossen. Nach einer ersten Prüfung durch die katholische Kirche wandte sie sich an Bernhard von Clairvaux, der sie auf ihrem Weg ermutigte. 1150 gründete Hildegard das Kloster Rupertsberg bei Bingen, die Gemeinschaft wuchs rasch an, Hildegard war weit über die klösterliche Gemeinschaft hinaus bekannt und wurde von vielen um Rat gefragt. 1165 übernahm sie das Kloster Eibingen bei Rüdesheim.
Als eine der ersten Predigerinnen überhaupt unternahm sie mehrere Predigtreisen nach Franken, Lothringen, Schwaben und ins Rheinland, auch in Kitzingen war sie der Überlieferung nach. Am 17. September 1179 starb Hildegard im Alter von 81 Jahren auf dem Rupertsberg bei Bingen.