Wie Nachfolge gelingen kann
Liebe Brüder und Schwestern!
Wer mit der Deutschen Bahn verreist, wird unterwegs mit den unterschiedlichsten Lautsprecherdurchsagen unterhalten. Manche haben einen sehr hohen Unterhaltungswert, einfach durch ihre kreative Gestelztheit in der Formulierung, über andere schmunzelt man und manche informieren den Reisenden auch. Neulich hatte mein Zug Verspätung und auf dem nächsten Bahnhof ertönte aus dem Lautsprecher: „Reisende mit dem Ziel Frankfurt/Main, bitte beschleunigt umsteigen!“ Eine sehr deutliche und klare Ansage also. Wenn du den Zug erreichen willst, musst du dich beeilen! „Beschleunigt umsteigen“ mussten Alt und Jung, Frauen, Männer und Kinder – und sie taten es, denn alle wollten den Zug erreichen. Aber nicht immer wird uns in unserem Leben eine solch klare Lautsprecherdurchsage auf das Entscheidende für uns hinweisen.
Die heutige Lesung aus dem Buch der Weisheit (Weish 9,13-19) begann mit der Frage: „Welcher Mensch kann Gottes Plan erkennen, oder wer begreift, was der Herr will?“ Wer mit wachen Augen und Ohren durchs Leben geht, wird dem wohl zustimmen können. Mit rein menschlichen Maßstäben und Kategorien können wir die Wechselfälle unseres Da-seins nicht erklären, wollen wir nicht resignierend den Zufall als letzte Ursache annehmen. König Salomo hatte sich von Gott zu Beginn seiner Regierung ein waches und hörendes Herz erbeten. Auch der Verfasser des Weisheitsbuches betet um Weisheit. Wer Gottes Handeln in der Welt und an jedem einzelnen von uns wirklich verstehen will, kommt mit seinem Hausverstand allein nicht weiter, so wertvoll auch unsere Versuche sein mögen, das Leben verstandesmäßig zu begreifen. Wirkliche Weisheit wird geschenkt. Eine Weisheit, die sogar rettet. So heißt es in der Lesung: „Wer hat je deinen Plan erkannt, wenn du ihm nicht Weisheit gegeben und deinen heiligen Geist aus der Höhe gesandt hast? … und die Menschen lernten, was dir gefällt; durch Weisheit wurden sie gerettet.“
Das Thema „Nachfolge Jesu“, wie es heute im Lukasevangelium (Lk 14,25-33) ange-klungen ist, gehört sicherlich auch zu den Bereichen unseres Lebens, die rein logisch nicht zu erschließen sind. Zwar sagt uns Jesus klipp und klar, worum es in der Nachfolge geht, aber wer begreift diese Radikalität?
Jesus wendet sich an alle Menschen, die ihm auf dem Weg nach Jerusalem begleiten. Er spricht nicht nur seinem engeren Kreis an, die Jünger, der er persönlich berufen hat, sondern wendet sich an die Menge: „Wer mein Jünger sein will, der …“
Jesus möchte offensichtlich, dass wir uns keinen Illusionen hingeben. Es ist wie bei der Lautsprecherdurchsage am Bahnhof: Wenn du den Zug erreichen willst, wenn du jetzt dein Ziel erreichen willst, dann musst du jetzt beschleunigt umsteigen!
Nachfolge Christi gibt es nicht in einer „Light-Version“. Wer Jesus nachfolgen will, muss ihn auch an die erste Stelle seines Lebens setzen. Selbst die uns nahe stehenden Menschen, Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern dürfen diesen Platz nicht ein-nehmen. Wir könnten aber auch in unguter Weise an uns selbst oder an materielle Güter gebunden sein, so dass eine Nachfolge kaum möglich ist. Und als ob diese Aufzählung nicht schon abschreckend genug wäre, fügt Jesus noch das Wort vom Kreuztragen hinzu: „Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.“
Ich kann mir gut vorstellen, dass nach dieser Rede Jesu sich nicht wenige Menschen ent-täuscht von ihm abgewandt haben. Bei wem wird diese Rede nicht Unverständnis wecken und Abwehr auslösen? Die Menschen damals wussten, was Jesus mit dem Kreuztragen meinte. Die Römer haben Menschen zu Hunderten hingerichtet und links und rechts der Straßen nackt gekreuzigt: Verbrecher, Aufrührer und besiegte Feinde.
Auch mit dem anschließenden Doppelgleichnis vom Turmbau und Kriegführen will Jesus uns vor Leichtfertigkeit warnen und vor Enttäuschungen bewahren. Es gibt die Möglichkeit des Scheiterns, denn Jesus verlangt hier die Herauslösung aus allem, was den Menschen seit seiner Kindheit getragen hat, seine Familie. Einen solchen Bruch kann nur jemand ris-kieren, ohne Schaden zu nehmen, wenn seinem Wagnis eine innere Entwicklung voraus gegangen ist. Niemand kann diese Entwicklung mit Absicht herbeiführen. Sie beginnt dann, wenn ein Mensch in seinem innersten Kern von Gott angesprochen und getroffen wird. Es ist eine Erfahrung die einem widerfährt und in der eine neue Dimension des Daseins auf-geht. Der Evangelist Lukas beschreibt dieses Hereinbrechen einer neuen Wirklichkeit mit dem sich öffnenden Himmels bei der Taufe Jesu: „Und während er betete, öffnete sich der Himmel, und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ (Lk 3,21)
Dieses innere Wissen Jesu, Gott zum Vater zu haben, hat ihm die Freiheit gegenüber allem und allen gegeben, die seine Sendung in Frage stellten. Aus der Verbindung mit seinem Vater im Himmel bezieht seine Verkündigung und sein Wirken Kraft und Autorität. Weder seine Familie noch die damaligen religiösen Instanzen konnten ihn von seinem Weg ab-bringen. Und er war bereit diesen Weg selbst dann weiterzugehen, als er menschlich gese-hen zu scheitern drohte. Der Gehorsam dem Vater gegenüber ist die Richtschnur und der Maßstab für sein Leben und seine Verkündigung.
Nachfolge in dieser Unbedingtheit und Radikalität erschließt sich uns, wenn wir den inners-ten Lebensimpulsen folgen. Dem folgen, was ich wirklich zuinnerst erkannt und erfahren habe, sei es ein Anruf aus dem Evangelium oder der Hl. Schrift, oder sei es aus dem Stillwerden vor Gott im Gebet. Wer seiner innersten Bestimmung folgt, erfährt etwas von der Einheit und der Fülle seines Lebens, trotz aller Abgründigkeit, Unvollkommenheit und menschlicher Begrenzung. Nachfolge meint jeden von uns, egal wo und in welchen Le-bensbezügen er lebt. Es gilt immer „beschleunigt umzusteigen“, wenn ich den Zug meines Lebens nicht verpassen will. Im Blick auf Jesus, wird es uns gelingen! Darin liegt wirkliche Weisheit, eine Weisheit, die durchs Leben trägt! Amen!