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Predigten

Geh den Weg des Glaubens

Predigt von Pater Anselm Grün am 9. Oktober, 28. Sonntag im Jahreskreis, in der Abteikirche Münsterschwarzach über Lukas 17, 11-19

"Keiner von uns hat Lepra, so wie die zehn Aussätzigen im heutigen Evangelium. Doch jeder von uns kennt wohl die Erfahrung, dass wir uns in unserer Haut nicht wohl fühlen, dass wir uns selbst nicht annehmen können. Und wenn wir uns selbst nicht annehmen können, dann fühlen wir uns außerhalb der menschlichen Gemeinschaft, so wie damals die Aussätzigen in abgegrenzten Bezirken wohnen mussten. Wir interpretieren die Worte und Blicke der andern als Ablehnung. Wir haben das Gefühl, dass alle gegen uns sind.

Zehn dieser Aussätzigen kommen im heutigen Evangelium zu Jesus. Sie wagen nicht, Jesus näher zu kommen. Aber sie überbrücken den Abstand zu Jesus mit ihrer Stimme. Sie erheben ihre Stimme, sagt Lukas feierlich. Sie rufen: "Meister, hab Erbarmen mit uns!" Wir haben diesen Ruf heute schon im Kyrie gesungen: Herr, erbarme dich unser, fühle mit uns und handle an uns. Jesus schaut sie an. Er sieht ihren Glauben und stärkt diesen Glauben durch sein Wort: "Geht, zeigt euch den Priestern!" Das tun sie auch. Sie vertrauen dem Wort Jesu und werden rein. Doch nur einer reagiert auf dieses Reinwerden mit Umkehr und Dank. Von den andern erzählt Lukas nicht, was sie tun. Sie halten es offensichtlich für normal, dass sie wieder zur menschlichen Gemeinschaft zählen. Der eine, der eine innere Umkehr erlebt und sie ausdrückt im lauten Lob Gottes, der Jesus vor die Füße fällt und ihm dankt, war ein Samariter.

Jesus stellt dem Samariter drei Fragen, die uns heute genauso gelten wie diesem Samariter und seinen neun Leidensgefährten. "Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind die andern neun? Sind sie nicht umgekehrt, um Gott die Ehre zu geben, außer diesem Fremden?" Auf uns bezogen heißen diese Fragen: Hast du nicht schon erlebt, dass du rein geworden bist, dass du dich auf einmal annehmen konntest, dass du dich ganz und gar von Gott angenommen fühltest und von Menschen verstanden? Wie hast du reagiert? Hast du es für selbstverständlich genommen? Wo bist du, wo stehst du? Lebst du einfach weiter oder kehrst du um, um Gott zu loben? Und Jesus verweist uns auf den Fremden. Wir haben heute viele Fremde unter uns. Sie sollten ein Spiegel für uns sein. Vielleicht haben wir schon zu sehr eingerichtet, dass Umkehr und Lob Gottes für uns fremd geworden ist. Dann sollten wir in den Fremden das erkennen, was wir verdrängt haben.

Lukas beschreibt das, was im Samariter, im Fremden geschehen ist, durch drei Worte: rein werden (katharos), geheilt werden (iasthai), gerettet werden (sozein). Sozein kann auch bedeuten: ganz wir selbst werden, zum wahren Selbst zu finden. Rein werden heißt: sich selber annehmen, weil ich mich für angenommen fühle. Das ist eine wichtige Erfahrung, nach der wir uns alle sehnen. Aber das bleibt noch auf der psychologischen Ebene. Geheilt werden wir erst, wenn wir dankbar bekennen, dass sich in uns etwas gewandelt hat, dass wir, die wir uns als unannehmbar erfahren haben, uns nun annehmen können, weil andere Menschen uns bejahen, weil wir uns von Gott bejaht fühlen. Und die Dankbarkeit muss sich ausdrücken in einer Umkehr. Wir sollen umkehren vom bisherigen Weg, eine innere Wende vollziehen. Und diese Wende, diese innere Verwandlung soll sich ausdrücken im Lobpreis Gottes. Dankbarkeit und Lobpreis braucht es, damit die gute Erfahrung des Angenommenseins in ein Heilsein verwandelt wird. Und es braucht den Glauben, damit wir gerettet werden, damit wir zu unserem wahren Selbst finden, zu dem einmaligen Bild, das Gott sich von uns gemacht hat.

Umkehr, Lob Gottes, Danken und Glauben, das sind die vier Haltungen, zu denen uns das heutige Evangelium einlädt. Wir sollen unseren Weg immer wieder überprüfen, ob er gut weiter geht oder ob wir umkehren sollen. Im Lob Gottes werden wir frei vom Kreisen um uns selbst und stellen Gott in den Mittelpunkt. Und in der Dankbarkeit werden wir unserem Menschsein gerecht. Der undankbare Mensch, so sagt der römische Philosoph Cicero, vergisst, dass er Mensch ist. Er verdirbt seine humanitas, seine Menschlichkeit. Im Glauben erkennen wir erst unser wahres Wesen, das einmalige Bild, das sich Gott von uns gemacht hat.

Wir feiern jetzt Eucharistie: Danksagung. Die Christen der frühen Zeit haben das Brotbrechen, in dem sie den Tod und die Auferstehung Jesu feiern, mit dem Ausdruck Eucharistie bezeichnet. Das war für sie die Zusammenfassung des Glaubens: Gott zu danken für das, was er uns in Jesus Christus getan hat, dass er uns durch seine Botschaft aufgerichtet, durch seine Liebe geheilt und durch seinen Tod und seine Auferstehung gerettet, ganz gemacht hat, dass er uns zu dem wahren Selbst geführt hat.

Wenn wir in der Kommunion Christus empfangen, dann werden wir eins mit ihm. Er nimmt uns ganz und gar an, damit wir rein werden, ja sagen können zu uns, aber auch heil werden und ganz und unser wahres Selbst erkennen. Aber Jesus sagt auch zu uns wie zu dem geheilten Samariter: "Steh auf und geh." Steh auf und schaue, was dein Auftrag ist in dieser Welt. Steh auf und geh deinen Weg. Geh den Weg des Glaubens, der dich immer mehr mit deinem wahren Wesen in Berührung bringt, der dich in die je größere Lebendigkeit, Freiheit, Liebe und Frieden führt. Amen."

Pater Anselm Grün OSB