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Predigten

Gott stets mehr zutrauen als mir selbst

Predigt von P. Frank Möhler am 30. Sonntag im Jahreskreis.

Das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, das Jesus im heutigen Evangelium erzählt, spielt in der Tradition des Mönchtums und in der Spiritualitätsgeschichte eine wichtige Rolle. Denn die beiden gelten als Prototypen für falsches und rechtes Gebet und damit verbunden für misslingende oder gelingende Glaubenshaltungen vor Gott. Und darüber hinaus sagen beide Haltungen auch etwas darüber aus, wie der Mensch sich selbst und seine Mitmenschen sieht.

Man könnte es auch so formulieren: hier wird ausgeführt, welche Haltung Beziehung ermöglicht und welche sie verunmöglicht. Wie es im alten Mönchtum typisch ist, geht es im Grunde, um ein heilsames und um ein schädliches Selbstbild. Die Haltungen, die dahinterstehen werden als Hochmut auf der einen und als Demut auf der anderen Seite bezeichnen.

So schreibt Augustinus zu unserem Evangelium: „Weil der Glaube nicht den Hochmütigen, sondern den Demütigen geschenkt wird, darum fährt der Herr mit einem Gleichnis über die die Demut und gegen den Hochmut fort.“

Auch der hl. Benedikt nimmt die Haltung des Zöllners aus unserem Evangelium als entscheidendes Beispiel für die rechte Demut. „Immer wiederhole der Mönch im Herzen die Worte des Zöllners im Evangelium, der die Augen zu Boden senkt und spricht: Herr, ich Sünder bin nicht würdig, meine Augen zum Himmel zu erheben.“ (RB 7, 65).

Auf der anderen Seite gilt der Hochmut als das subtile Laster der eigentlich geistlich Fortgeschrittenen. Derer, die eigentlich im Glauben alles recht machen wollen und sich dann das Gute selbst zuschreiben; diejenigen, die Gott und seine Hilfe eigentlich nicht mehr brauchen, da sie selbst ach so gut und konsequent sind.  

Der Hochmut wird in der Tradition als reale Gefahr für jeden Frommen angesehen. Der Betroffenen merkt es oft nicht, dass er davon befallen ist.

Der Pharisäer „stellt sich hin“, dadurch wir schon äußerlich auf die Haltung des Stolzes und des Hochmuts verwiesen werden. Und weiter heißt es: er betete bei sich (griech: pros heauton). D.h. seinem Gebet fehlt die Ausrichtung auf Gott, die Sehnsucht. Diese Haltung kann man als subtile Verachtung Gottes betrachten. Das weitere Kennzeichen für die Überheblichkeit und Verachtung ist wie es Gregor der Große ausdrückt: man verachtet die anderen, weil man glaubt, der Einzige zu sein, der ein bestimmtes Gut besitzt. Das scheint der Gipfel dieser Haltung zu sein: er verachtet und beleidigt den Zöllner, benutzt ihn im Geheimen, um Gott zu danken. Dieser subtile, innere abwertende Vergleich ist das Kennzeichen von Hochmut. Durch die Fehler anderer schätzt er sich selbst höher ein.

Sich mit anderen im Inneren zu vergleichen, ist das Ende der Gottesbeziehung. Man braucht hier aber nicht mit dem Finger auf den Pharisäer zu zeigen, denn wie leicht sind wir selbst in diesem Denken drin.

Die Haltung, um die es Jesus im Evangelien geht, die in der Tradition mit Demut umschrieben wird, ist dadurch gekennzeichnet, dass sie alles Vertrauen auf die eigene Leistung und Gerechtigkeit vor Gott aufgibt. Wie gelingt das? Leider wird im Deutschen mit Demut meist Negatives verbunden: Unterwürfigkeit, Duckmäusertum, Selbstabwertung. Aber darum geht es nicht – das wäre man wieder nicht bei selbst angekommen.

Mit Demut ist die Haltung umschrieben, die die eigene Realität im Blick hat. Ich bleibe auf dem Boden meiner Tatsachen (lat. humilitas: homo (Mensch), humus (Erdboden)). Demut führt zur Selbstannahme. Der Zöllner schaut nicht nach oben, das wäre die Richtung der Überheblichkeit, sondern auf den Boden, auf die Erde und wird gewahr, was er ist: bedürftig und verlangend nach Heilung. In der Rede des Evangeliums und der Tradition heißt das, sich als Sünder zu verstehen, d.h. die Augen nicht zu verschließen vor den eigenen Schwächen, sondern zu ihnen zu stehen. Da kann Gott ankommen, wo ich ihm meine Bedürftigkeit und Schwäche hinhalten kann und diese nicht übergehen muss.

Der Gerechte vor Gott, ist nicht der Tolle, der alles selbst kann und der im Grund niemanden braucht, sondern derjenige, der in aller Ehrlichkeit zu dem stehen kann, was er ist, auch zu allem Mist, sozusagen. Wenn unserer Kirche gerade in vielen Bereichen von ihrem hohen Ross fällt, dem Ross der moralischen Überlegenheit, dem Ross des gesellschaftlichen Einflusses, dem Ross der klerikalen Arroganz, dann mag das vielleicht auch heilsam sein und helfen wieder mehr bei Gott zu sein. 

Das ist eine wirkliche geistliche Übung: sich hinten hinzustellen und zu sagen: Gott sei mir Sünder gnädig. Das Bewusstsein, nicht perfekt zu sein, ist eine notwendige Voraussetzung für die Selbsterkenntnis.

Der Zöllner erkennt die Erfahrung von Enttäuschungen und Rückschlägen und es ist ihm klar, dass er einen neuen Anfang braucht und dass Gott diesen Anfang schenken kann. Oder anders gesagt: dass Gott einen ganz anderen Anfang schenken kann, als er sich selbst es überhaupt vorstellen kann. Vor Gott gerecht werde ich, indem ich ihm zutrauen, dass er Neues schafft mit meinem Leben, dass er mich sozusagen über meine eigenen Fähigkeiten und Leistungen hinausheben kann. Es geht darum, die Liebe Gottes, ihn selbst zu empfangen - und eben keine Gegenleistung meiner Vorleistung.   

Wie gesagt, es geht nicht darum, dass ich mich extra vor Gott klein mache und im Staub liege vor ihm – auch das wäre ja wieder eine eigene Leistung.  Der hl. Augustinus schreibt in einer seiner Predigten: Es wird dir nicht gesagt, sei etwas Kleineres, als du bist, sondern: Erkenne, wer du bist und werde du selbst (Sermon 137,4.4).  

Die Demut ist im positiven Sinne eine Tugend, die davor bewahrt sich selbst zum Maßstab aller Dinge zu machen und die hilft zu erkennen, wer ich bin. Das könnte darin bestehen, dass ich Gott stets mehr zutrauen als mir selbst. Denn ich erahne, dass die Liebe Gottes mit mir mehr und Größeres tun kann, als ich es selbst jemals tun könnte.

AMEN.