Gott traut uns etwas zu
Predigt von P. Anselm Grün OSB am 2. Sonntag nach Weihnachten.
An Weihnachten haben wir als Evangelium den Prolog des Johannesevangeliums schon gehört. Da wollte uns der Prolog das Geheimnis Jesu erklären. Heute geht es darum, dass dieser Hymnus unseren eigenen Weg zur Menschwerdung beschreibt. Romano Guardini erzählt von einem Traum. Am Ende des Traumes spürte er, dass Gott über jeden Menschen ein Urwort, ein Passwort spricht, das nur für diesen Menschen passt. Und unsere Aufgabe ist es, in unserem Leben dieses einmalige Wort, das Gott in uns spricht, vernehmbar werden zu lassen. Wir können dieses einmalige Wort, as Gott über uns spricht, nicht erkennen. Dennoch lade ich die Menschen bei einem Kurs manchmal ein, sie sollten spontan aufschreiben, was ihr Wort sein könnte. Dann sprechen sie es aus: Mein Wort ist: Brückenbauen, Harmonie, Lebendigkeit, Geborgenheit stiften, Leichtigkeit, weites Herz, Liebe. Natürlich wird niemand von uns diese Worte immer klar zum Ausdruck bringen. Aber wenn wir vertrauen, dass jeder von uns so ein Wort Gottes darstellt, dann lösen sich unsere Vorurteile auf, die wir von jedem haben. Und wir spüren, dass jeder etwas von Gott ausdrückt, was nur durch ihn zum Ausdruck kommen kann
Das Wort, das Gott zu uns spricht, will in den Worten hörbar werden, die wir zueinander sprechen. Dann bringen unsere Worte Licht in das Leben der Menschen, so dass sie sich selbst verstehen können. Unsere Worte sollen auch Licht in die Welt bringen und die Finsternis erhellen.Wir erleben heue viel Dunkelheit. Keiner blickt durch, wohin das alles führt: die Kriege, der Klimawandel, die Polarisierung in unserer Gesellschaft. Doch mit Worten können wir Licht bringen in diese Dunkelheit, Hoffnung in die Verzweiflung, Wärme in die Kälte, Vertrauen in die Angst. Aber unseren Worten wird es oft genug ähnlich ergehen wie dem Wort, das in Jesus aufgeleuchtet ist. Es wird oft nicht verstanden, es wird abgelehnt, es geht unter bei den vielen Worten, die uns ständig von irgendwoher einnebeln. Aber diejenigen, die es aufnehmen, werden Kinder Gottes. Wir sollen so zu den Menschen sprechen, dass sie sich als Söhne und Töchter Gottes fühlen, dass sie sich bedingungslos angenommen wissen.
Und unsere Worte wollen in den Menschen, zu denen wir sprechen, das Leben wecken, das in ihnen ist, das aber oft zugedeckt ist durch ihre Ängste und Sorgen. Wir können in ihnen aber nur Leben wecken, wenn wir an sie glauben. Paul Celan, der jüdische Dichter sagt einmal: Es gibt keinen Glauben ohne Sprache und keine Sprache ohne Glauben. In unserem Sprechen wird hörbar, ob wir nicht nur an Gott, sondern auch an den Menschen glauben oder eben nicht glauben.
Der Prolog sagt weiter: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen voll Gnade und Wahrheit.“ Auch in uns will das Wort Gottes Fleisch werden, das heißt: Das Wort, das Gott in uns spricht, will nicht nur in unseren Worten hörbar werden, sondern in unserem Fleisch sichtbar werden, in der Ausstrahlung, die von uns ausgeht. Die Worte, die wir sprechen, dürfen nicht im Widerspruch stehen zu dem, was wir von unserem ganzen Erscheinungsbild her ausstrahlen. Es gibt Menschen, die ständig fromme Worte machen, aber von ihnen geht Kälte, Härte und Unzufriedenheit aus.
Die Ausstrahlung, die Gott uns zutraut, drückt Johannes in drei Worten aus: Herrlichkeit, Gnade und Wahrheit. Doxa heißt nicht nur Herrlichkeit, sondern auch Schönheit. In uns soll etwas von der Schönheit Gottes aufleuchten. Schönheit gibt es nach Platon nur dort, wo Liebe ist. Nur wenn wir liebevoll mit uns umgehen, strahlen wir Schönheit aus. Und nur wenn wir die Menschen lieben, erkennen wir ihre Schönheit. Hässlich ist nur der, der sich selber hasst. Und andere werden für uns hässlich, wenn wir sie hassen. Das griechische Wort für Gnade ist „charis“. Charis meint Anmut, Zärtlichkeit. Von Jesus ging diese Ausstrahlung von Anmut und Zärtlichkeit aus, wenn er den Menschen begegnete. Wahrheit heißt im Griechischen aletheia. Martin Heidegger übersetzt es mit „Unverborgenheit“. Die Worte, die wir sprechen, sollen den Schleier entfernen, der die Menschen oft vom Wesen ihrer Person trennt, der ihr Selbstbild verdunkelt.
Sie sind sicher schon Menschen begegnet, in denen etwas von dem Wort, das in ihnen Fleisch geworden ist, auf die Menschen ausgestrahlt ist. Ich möchte nur an zwei Menschen erinnern: an unseren früheren Kantor Godehard Joppich, der kurz vor Weihnachten gestorben ist. Wenn er mit seiner Schola Choral gesungen hat, dann sind die biblischen Worte, die er gesungen hat, nicht nur in seiner Stimme, sondern in seinem Leib aufgestrahlt. Da hatte man das Gefühl von Wahrheit: Ja, diese Worte Gottes, die da hörbar wurden, sind die Wahrheit. Sie stimmen. Sie wollen in uns eindringen und uns verwandeln. Und ich denke an unseren P. Polykarp. In den letzten Jahren hat er das ausgestrahlt, was Titus in seinem Brief schreibt: Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes. Sie werden in Ihrem Umfeld sicher noch andere Menschen finden, in denen das Wort Gottes Fleisch geworden und für Sie aufgestrahlt ist.
Wenn wir den Prolog als Beschreibung unserer eigenen Menschwerdung verstehen, dann erkennen wir, was Gott uns zutraut. Gott traut uns zu, dass wir mit unseren Worten Leben wecken in den Menschen, dass wir Licht bringen in ihre Dunkelheit, dass ihnen mitten in dieser trostlosen Zeit Anmut und Zärtlichkeit ausstrahlen, dass sie sich bedingungslos angenommen fühlen. Dann wird durch uns Weihnachten auch für die Menschen, denen wir begegnen. Dann strahlt in uns die Herrlichkeit Gottes, seine Anmut und Zärtlichkeit und seine Wahrheit auf. Das ist das Geheimnis von Weihnachten: Gott ist Mensch geworden, damit wir selbst es wagen, Mensch zu werden, Mensch, so wie Gott ihn gedacht hat und wie er uns in Jesus auf einmalige Weise aufgeleuchtet ist. Amen.