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Die Süße der Dunkelheit im Labyrinth des Lebens

Dreitägiger Kurs mit dem Labyrinth-Experten Gernot Candolini im Gästehaus - Kursteilnehmer nehmen „Vorfreude auf die dunkle Zeit“ und das Wissen mit, dass in Advent und Weihnachten ein großer Schatz liegt

Kraft, Gehalten-werden, Geborgenheit, Gelassenheit, Erneuerung, Wärme, Zauber, Geheimnis… Diese Empfindungen notieren die 15 Teilnehmer eines dreitägigen Kurses mit dem österreichischen Labyrinth-Experten Gernot Candolini auf einer großen Plakatwand. Wo sonst Seminare und Workshops stattfinden, verbreiten an diesem Abend über 100 Lichttüten ihr mystisches Licht. Die warm leuchtenden Lichtspender sind jedoch nicht willkürlich im Raum verteilt, sondern in Form eines Labyrinths, das zum Sinnieren und zum Gehen der verschlungenen Pfade einlädt.

Zwei Mal im Jahr bietet Gernot Candolini (Jahrgang 1959) in Münsterschwarzach einen Kurs zum Thema Labyrinth an. Der Novemberkurs mit dem tiefsinnigen Titel „Die Süße der Dunkelheit im Labyrinth des Lebens“ hat auch heuer wieder vor allem Menschen angezogen, die sich vor dem Start ins Weihnachtsgeschäft noch mal eine Pause zum Durchatmen gönnen wollen. Candolini, studierter Biologe, Lehrer, Autor, Fotograf und Designer zahlloser Labyrinthe, kam erstmals 1994 mit dem Thema in Berührung. „Bei Überlegungen für die Gestaltung eines Kurparks stießen wir auf dieses uralte Menschheitssymbol und waren fasziniert, was sich dahinter verbirgt“, blickt Candolini zurück. Kurzerhand mähte er ein Labyrinth in den Rasen und staunte: „Innerhalb weniger Stunden wurde die Wiese zu einem Ort der Begegnung, des Gesprächs und der Auseinandersetzung – zu einem Ort des Lebens!“ Ihn selbst habe das Labyrinth zum Nachdenken über sich und das Leben verführt, und seitdem nicht mehr losgelassen.

Die Geschichte des Labyrinths beginnt vor rund 5000 Jahren im Mittelmeerraum in der minoischen Kultur. Die griechische Mythologie erzählt vom Labyrinth des Dädalus auf Kreta, das als Gefängnis und Kampfplatz mit dem Minotaurus diente, und zugleich Tanzplatz für Theseus und Ariadne war. „Diese doppelte Lesart wird gerne vergessen“, sagt Candolini. „Denn ein Labyrinth umfasst immer beides: den Kampf und die Liebe, Aktion und Kontemplation, Tun und Lassen, Geben und Nehmen, Arbeiten und Zamhocken – das ist der große, sich ergänzende Dualismus des Menschseins.“ Vom Mittelmeerraum aus verbreitete sich das Labyrinth in ganz Europa. Auch das Christentum hat es früh in seinen Symbolschatz aufgenommen. Aus dem klassischen Typ mit zwei Mitten entstand das gotische Labyrinth, dessen bekanntester Vertreter sich in der Kathedrale von Chartres befindet. Seit etwa 20 Jahren erlebt das Labyrinth mit über 200 neu erbauten Plätzen und Orten eine wahre Renaissance.

Die Form ist dabei denkbar einfach: Von einem Kreuz ausgehend winden sich konzentrische Kreise nach außen, die ineinander verschlungen sind. Unermüdlich, ohne Irrwege oder Abzweigungen führt der Weg hin und her, biegt nach innen und außen ab, bis er schließlich in der Mitte anlangt. „Was diese Mitte ausmacht, wird mit jedem Gang neu beantwortet“, so Candolini. Und: Einmal angekommen, muss der Geher wieder den Rückweg antreten – oder symbolisch gesprochen: Nach Kampf und Konfrontation folgt der Weg ins Leben und die Beziehung, zu Glück und Gelingen gehören auch Verletzungen und Scheitern. „Sonst ist der Weg nur zur Hälfte bewältigt.“

Die Wirkung der verschlungenen Pfade auf den Menschen beschreibt Candolini als sehr tiefschürfend: „Mit jedem Schritt gelangt der Geher in eine innerlich entspannte, beschauliche Haltung. Es übt eine meditative Kraft aus und lässt die unterschiedlichsten Gefühle an die Oberfläche kommen. Denn sobald der Mund schweigt, beginnt die Seele zu sprechen.“ Zudem schenke die harmonische Form ein Gefühl der Geborgenheit und löse ein leises Lächeln auf den Gesichtern aus. Es führe zur Erkenntnis: „Auch wenn das Leben im Detail manchmal chaotisch und beängstigend wirkt, im Ganzen ist es schön und harmonisch!“

All das tritt im Zusammenspiel mit Licht und Dunkel noch stärker zutage: „Manchmal verschlingt uns die Dunkelheit des Lebens und macht uns Angst“, erzählt Candolini von den Erfahrungen der Kursteilnehmer. „Aber der warme Schein einer Kerze lässt uns spüren, dass die Dunkelheit nicht nur bitter schmeckt, sondern auch etwas Nährendes, Positives, ja Süßes hat.“ So könne man in Krankheit und Tod die Erfahrung machen, dass sie nicht nur Schmerz mit sich bringen, sondern auch neue Perspektiven eröffnen.

Anhand von kurzen Geschichten, Märchen und Erzählungen aus der Bibel haben die Kursteilnehmer diese Labyrinth-Erfahrungen des Lebens weiter ausgefaltet: „Wussten Sie, dass das Märchen vom Rotkäppchen meist nur halb erzählt wird? Der zweite Besuch bei der Großmutter, in dem das Mädchen aus der Vorerfahrung gelernt hat, wird nämlich meist weggelassen“, so Candolini. Doch der sei immens wichtig – zeige er doch „den Dualismus menschlichen Lebens aus Kampf und Beziehung und den Weg zurück ins Leben“. Paradebeispiele für biblische Labyrinthgänger seien Jona und natürlich Jesus, der durch die Dunkelheit des Todes in die Beziehung zum Menschen zurückkehrt.

Am Ende des dreitägigen Kurses nehmen die Kursteilnehmer eine gute Portion „Vorfreude auf die dunkle Zeit“ und das Wissen mit, dass in Advent und Weihnachten ein großer Schatz liegt. Außerdem können viele „wieder gelassener und mit einem Schmunzeln auf die eigene Lebensreise blicken“, so Candoloni. Denn sie wissen: „Auch wenn ich meine, mich in immer neuen Wendungen und Schleifen zu verlieren, gehe ich letztlich aufs Ziel zu – Schritt für Schritt durchs Labyrinth des Lebens.“

Anja Legge