Skip to main content

Nachrichten

"Ich halte die Augen offen und will vor nichts davonlaufen"

Mit den Herausforderungen der Corona-Krise geht jeder individuell um. P. Fidelis Ruppert OSB fällt in diesem Zusammenhang ein ganz besonderer Mensch ein.

In unserer gegenwärtigen Situation erinnere ich mich an ein Glaubenszeugnis aus einem noch dramatischeren Umfeld. Etty Hillesum, eine junge, jüdische Frau erlebt den Einmarsch deutscher Truppen in Holland und die einsetzende brutale Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. In ihrem Tagebuch versucht sie, mit dieser lebensgefährlichen Situation gläubig umzugehen. Hier einige Zitate:

Als sie von immer neuen Grausamkeiten der Nazis gegen die Juden erfährt, notiert sie:

"Aber ich schließe mich davor nicht in meinem Zimmer ein, Gott, ich halte die Augen offen und will vor nichts davonlaufen, sondern versuche, auch die schlimmsten Verbrechen irgendwie zu begreifen und zu ergründen….Ich stehe Auge in Auge mit deiner Welt, Gott, und flüchte mich vor der Realität nicht in schöne Träume – obwohl ich glaube, dass auch neben der grausamen Realität noch Platz für schöne Träume ist – ich preise weiterhin deine Schöpfung, Gott – trotz allem!"

"Wir kamen an Flieder und kleinen Rosen und deutschen Wachtposten vorbei."

"Die Bedrohung von außen wird ständig größer, der Terror wächst mit jedem Tag. Ich ziehe das Gebet wie eine dunkle, schützende Wand um mich hoch, ziehe mich in das Gebet zurück wie in eine Klosterzelle und trete dann wieder hinaus, ‚gesammelter’, stärker und wieder gefasst."

"In mir gibt es einen ganz tiefen Brunnen. Und darin ist Gott. Manchmal ist er für mich erreichbar. Aber oft liegen Steine und Geröll auf dem Brunnen und dann ist Gott begraben. Dann muss er wieder ausgegraben werden."

Das letzte schriftliche Zeugnis von Etty Hillesum auf einem Zettel, den sie aus dem Güterwagen geworfen hat, als man sie in Richtung Auschwitz abtransportierte:

"Ich schlage die Bibel an einer willkürlichen Stelle auf und finde: ‚Der Herr ist meine starke Burg.‘  Ich sitze mitten in einem überfüllten Güterwagen auf meinem Rucksack."

Aus; Etty Hillesum, Das denkende Herz der Baracke. Freiburg 2014.

(vgl.auch: Fidelis Ruppert, Gelassen im Trubel des Lebens  S. 96ff )

Von P. Fidelis Ruppert OSB