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Predigten

Das Geheimnis offen halten

Predigt von Pater Anselm Grün OSB am Dreifaltigkeitsfest, Sonntag, 22. Mai 2016, in der Abteikirche Münsterschwarzach

"Credo in unum Deum = Ich glaube an den einen Gott". So werden wir im Credo singen. Wolfgang Amadeus Mozart hat in diesen vier Worten das ganze Geheimnis unseres Glaubens ausgedrückt gesehen. So lässt er in seiner Krönungsmesse den Chor am Schluss des Credo nochmals singen: Credo in unum Deum. Amen. Wenn wir an den einen Gott glauben, dürfen wir auch vertrauen, dass die innere Zerrissenheit, die wir als Menschen erfahren, zu einer Einheit wird. Wenn wir heute das Geheimnis des dreifaltigen Gottes feiern, sollten wir uns immer an den ersten Satz des Credo erinnern. Wir glauben an den einen und einzigen Gott.

Aber - so sagen uns die griechischen Kirchenväter - wir können das Geheimnis des dreifaltigen Gottes nicht begreifen und nicht beschreiben. Das Wesen Gottes bleibt uns verschlossen. Denn Gott ist jenseits all unserer Begriffe und Bilder. Aber wir können das Wirken Gottes erkennen. Und das Wirken Gottes haben die griechischen Kirchenväter immer in dreifacher Weise beschrieben. Ich möchte nur einen Theologen nennen: Marius Victorinus (281-365), Neuplatoniker, aber zugleich als römischer Rhetor ausgebildet. Er bezieht sich in seiner Beschreibung des dreifaltigen Gottes auf drei Prinzipien, auf denen alles beruht: Das Sein (esse), das Leben (vivere) und das Verstehen (Intelligere). In diesen drei Prinzipien sieht er ein Bild für den dreifaltigen Gott, das in die menschliche Seele eingeprägt ist.

Der Vater steht für das Sein. Gott ist das reine Sein. Wir erfahren Gott, wenn wir einfach einmal sind, ohne etwas vorweisen und ohne uns rechtfertigen zu müssen. Viele müssen alles, was sie tun, selbst ihr Meditieren und Beten, begründen. Sie müssen sich verteidigen mit dem Argument, dass es ihnen etwas bringt. Die Eucharistie ist die Feier des reinen Seins. Wir genießen, einfach da zu sein. Wir müssen nichts vorweisen. Angelus Silesius, der schlesische Dichter und Mystiker, hat diese Erfahrung Gottes als Vater, als das reine Sein, so beschrieben: "Die Rose ist ohn Warum. Sie blühet, weil sie blühet. Sie achtet nicht darauf, ob man sie wohl auch siehet." Wenn wir dieses reine Sein erfahren, ahnen wir, was Gott der Vater ist.

Der Sohn bedeutet das Leben, das aufblüht, das Lebendigkeit und Fülle meint. Im Johannesevangelium sagt Jesus von sich: "Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben und dass sie es in Fülle haben." (Joh 10,10) Wer an Jesus glaubt, so sagt uns das Johannesevangelium immer wieder, der hat das ewige Leben, der erfährt, was Leben  bedeutet: Leben ganz im Augenblick, Leben, das Zeit und Ewigkeit in sich verbindet. Den Sohn erfahren wir, wenn wir lebendig sind, wenn in uns Leben aufblüht. Im Sohn tritt uns Gott gegenüber als ein Mensch, der ganz und gar vom göttlichen Leben erfüllt ist und der uns an diesem göttlichen Leben teilhaben lässt. Den Sohn verstehen wir nur, wenn wir dem Leben in uns trauen. Es gibt spirituelle Menschen, die dem Leben nicht trauen, die ihre Spiritualität dazu missbrauchen, das Leben unter Kontrolle zu halten. Sie haben Angst vor dem Leben. Denn das Leben lässt sich nicht kontrollieren. Andere verstehen ihren geistlichen Weg als Flucht vor dem Leben. Sie fliehen vor dem Leben in fromme Gedanken, in die Grandiosität euphorischer Gefühle.

Der Heilige Geist ist das Verstehen. Nur der Heilige Geist lässt uns Gott verstehen. Und auch wenn wir uns selbst verstehen, ist es letztlich der Heilige Geist, der uns in das Geheimnis unserer eigenen Existenz einführt. Verstehen heißt nicht: alles begreifen. Das lateinische Wort intelligere meint: nach innen sehen, tiefer sehen, einsehen. Es gibt die Erfahrung, dass wir mit unserem Verstand nichts verstehen, dass uns in unserm Kopf vieles unklar ist, aber in der Tiefe sehen wir ein. Da wird uns auf einmal alles klar. Da ist immer der Heilige Geist am Werk, wenn uns auf einmal etwas aufgeht vom Geheimnis Gottes und des Menschen. Wir können nur dann zu uns selbst stehen, wenn wir uns selbst mit all dem Chaotischen in uns verstehen. Ohne Verstehen vermag der Mensch nicht, für sich selbst einzustehen. Da bekommt er kein Stehvermögen. Der Heilige Geist schenkt uns Einsehen und Verstehen.

Marius Victorinus spielt mit diesen drei Bildern: Sein, Leben und Verstehen. Und er bringt sie in Beziehung zueinander. Der Vater ist die Quelle allen Seins, aus der das Leben (der Sohn) ausströmt, um uns zu erfrischen und zu stärken. Und der Heilige Geist meint das Verstehen. Er führt uns durch das Verstehen in Gott zurück. Gott sendet seinen Sohn, damit er mit uns ist und unsere Wege mit uns geht. Und er sendet uns den Heiligen Geist, damit wir uns selbst und Gott verstehen. Und der Heilige Geist, der vom Vater ausgeht, führt uns in Gott hinein. Er verbindet uns mit dem Ursprung.

Die Kirchenväter haben das Bild des dreifaltigen Gottes auch als Bild für den Menschen verstanden. Gott hat ja den Menschen nach seinem Bild geschaffen. Auch der Mensch hat in sich drei Bereiche: Geist, Seele und Leib, wie es die griechische Philosophie verkündet, oder Verstand, Wille und memoria (Gedächtnis), wie es der hl. Augustinus sieht. Das Bild des dreifaltigen Gottes will uns sagen, dass alle drei Bereiche im Menschen von Gott berührt und durchdrungen werden müssen, damit der Mensch wahrhaft Mensch wird. Das Gelingen unserer Selbstwerdung hängt also davon ab, dass wir alle Bereiche, nicht nur unseren Geist, sondern auch unsere Seele und unseren Leib Gott hinhalten. Gott steigt in seinem Sohn Jesus Christus hinab in die Tiefen unserer Seele, in der so vieles herum liegt, was wir verdrängt und vom Leben ausgeschlossen haben. Jesus steigt hinab, um alles in uns mit seiner Liebe zu erfüllen und mit seinem Licht zu erhellen. Und der Heilige Geist nimmt all das, was Jesus mit seinem Licht erfüllt, hinein in die Einheit mit Gott. Und der Heilige Geist ermöglicht es uns, mit uns selbst eins zu werden. Denn eins werden mit sich kann nur der, der sich versteht, dem das Geheimnis seiner Existenz und seiner Person aufgeht.

Wir haben das einmalige Bild, das Gott sich von jedem von uns gemacht hat, durch unsere Sünde verunreinigt. Daher hat Gott seinen Sohn gesandt, dass er dieses Bild wieder in seiner ursprünglichen Schönheit herstellt. Und er hat uns den Heiligen Geist gesandt, der alles in uns mit göttlichem Leben erfüllt, der uns vergöttlicht, wie Leo der Große sagt. Die Kirchenväter zeigen uns, wie eng die christliche Botschaft Gott und den Menschen miteinander verbindet. Man kann nicht vom Menschen sprechen, ohne von Gott zu sprechen. Und umgekehrt: Von Gott sprechen wir nur dann angemessen, wenn wir auch vom Menschen sprechen, in dem Gott selbst Wohnung genommen hat.

Für C.G. Jung ist das Gottesbild das wichtigste archetypische Bild. Das archetypische Bild bringt uns in Berührung mit unserer inneren Mitte, mit unserem wahren Selbst. Wenn das wichtigste archetypische Bild krank ist, wird der ganze Mensch krank. Daher ist es für Jung wichtig, stimmige Bilder von Gott zu haben. Davon hängt die Gesundheit des Menschen ab. Das Bild des dreifaltigen Gottes ist für Jung so ein heilsames Bild. Es ist das Bild eines offenen Gottes, der sich dem Menschen geöffnet hat, der den Menschen hinein nimmt in sein eigenes Sein. Diesem Gottesbild entspricht das Bild vom offenen Menschen, der sein Herz für Gott und für die Menschen und ihre Nöte geöffnet hat. Der hl. Benedikt hat das verstanden. Er sieht das weite, das offene Herz, als Kennzeichen des spirituellen Menschen. Gott kann nur in einem weiten Herzen wohnen. In unserem Jubiläumsjahr haben wir das zum Motto für unser Leben genommen: Sei offen. Öffne dein Herz für Gott, aber auch für die Menschen. Und öffne dein Herz für all das, was Gott in dein Herz hinein legt.

Gottesbild und Selbstbild korrespondieren immer miteinander. Wenn Gott nur der absolute Herrscher im Himmel ist, der alles kontrolliert, entspricht dem das Bild des Menschen, der alles in sich kontrollieren muss, aus Angst vor dem Chaos, das in ihm ist. Er ist nicht fähig, in seine eigenen Tiefen hinein zu sehen und sich zu verstehen. Wer Gott nur als apersonal ansieht, wie das heute viele tun, der tut sich schwer mit seinem eigenen Personsein und mit der Begegnung mit anderen Personen. Das Bild des dreifaltigen Gottes will Gott nicht festlegen, sondern das Geheimnis offen halten, sowohl das Geheimnis Gottes als auch das Geheimnis des Menschen. So schützt die Botschaft vom dreifaltigen Gott das Geheimnis des Menschen vor dem Zugriff einer Gesellschaft, die alles kontrollieren möchte, die alles bestimmen möchte. Der dreifaltige Gott bietet uns einen Raum der Freiheit an, in dem wir ausatmen, in dem wir nicht verzweckt werden. Und das Geheimnis des dreifaltigen Gottes hält uns lebendig, weil wir auf dem Weg bleiben und immer wieder neu Ausschau halten nach dem Gott, der jenseits aller Bilder ist.

Wir feiern jetzt in der Eucharistie das Geheimnis des unbegreiflichen Gottes und das Geheimnis unseres Menschseins. Wir feiern das Geheimnis des Gottes, der sich für uns geöffnet hat und das Geheimnis des offenen Menschen, der fähig ist, das göttliche Leben in sich aufzunehmen als reines Sein, als Leben und als Verstehen. Wir feiern den Vater, den wir anbeten und den wir erfahren, wenn wir uns wie er als reines Sein fühlen. Wir feiern den Sohn, der zu uns kommt und in uns eingeht in seinem Leib und Blut, der uns mit seiner Liebe erfüllt. Und wir feiern den Heiligen Geist, der uns das Verstehen schenkt und uns zurückführt in Gott, aus dem heraus wir leben. Amen.

Pater Anselm Grün OSB