Glaube ist Beziehungssache

Schwestern und Brüder,
der erste Satz der heutigen Lesung (Hebr 11,1-2.8-12) ist ein Programm, ein Zukunftsprogramm. Es heißt da im Hebräerbrief: „Glaube ist: Grundlage dessen, was man erhofft.“
Das heißt: „Der Glaube ist die Grundlage, die Voraussetzung dafür, dass wir Hoffnung haben können.“ Und Hoffnung haben heißt: an eine Zukunft glauben. Man könnte auch sagen: Wer glaubt, muss keine Zukunftsangst haben, der Glaube gibt Mut und Hoffnung, in die Zukunft weiterzugehen. Kurz gesagt: Wer glaubt, hat Zukunft. Was kann das heißen für uns?
Kürzlich habe ich ein Gespräch erlebt, wo es um den Glauben in heutiger Zeit ging, darum, dass immer weniger Menschen an Gott glauben, natürlich die Anderen, die nix glauben! Plötzlich sagte einer provozierend: „Ich glaube auch nicht an Gott!“ Alle waren überrascht, denn dieser Mann ging ja regelmäßig zur Kirche. Schließlich sagte er als Erklärung: „Ich glaube nicht an Gott – ich habe eine Beziehung zu ihm. Ich bin nicht gläubig, weil man mir viel über Gott gesagt und beigebracht hat, sondern weil ich Erfahrung mit Ihm gemacht habe, viele Erfahrungen. Das ist mein Glaube, meine Glaubenserfahrung.“ Die Anderen wurden nachdenklich: Ja, wie ist das bei mir, was und warum glaube ich denn?
Da habe ich an meine Mutter gedacht. Als wir noch Kinder waren, erzählte sie uns eines Tages: „Die Nachbarin hat zu mir gesagt: ‚Lisabeth, ich verstehe nicht, dass du immer noch glauben und in die Kirche gehen kannst. Du hast deinen Mann im Krieg verloren und musst dich mit deinen vier kleinen Buben alleine durchschlagen.‘ Dann habe ich geantwortet“, sagte unsere Mutter, „aber gerade deswegen gehe ich ja in die Kirche. So halt ich‘s aus und kriege die Kraft zu leben und weiterzugehen mit meinen Kindern.“ Und sie kommentierte dieses Gespräch mit den Worten: „Wie kann man nur so dumm daherreden“. Anscheinend hat damals bei dem kleinen Jungen etwas geklickt, dass ich das Gespräch so genau in Erinnerung habe.
Die Mutter hatte die Erfahrung gemacht, dass die Beziehung zu Gott trägt, trotz all dem trägt, was an ihrem Schicksal so schwer verständlich ist und immer wehtut. Dieser Glaube war Erfahrung, eine erlebte Beziehung zu Gott, auch eine Beziehung von Gott zu ihr hin. Da brauchte es keine große Dogmatik, was man so alles glauben kann und soll. Glaube, der auf Lebenserfahrung beruht, auf Beziehungserfahrung, der zerbricht nicht so schnell. Der kann strapazierfähig sein, und eben zukunftsfähig.
Diese verwundert-kritische Frage unserer Nachbarin ist auch heute noch aktuell. Angenommen, Sie gehen nachher aus der Kirche, und auf dem Kirchplatz fragt Sie jemand: „Warum gehen Sie denn immer noch in die Kirche? Der Trend ist doch heute, dass immer weniger Leute glauben und in die Kirche gehen. Was wollen Sie denn da?“ Vielleicht wären Sie überrascht und wüssten so schnell gar nichts zu antworten. Drum ist es gut, gelegentlich darüber nachzudenken. Ja, warum glaube ich eigentlich!?
Bei Exerzitien gibt es manchmal die Anregung, eine Glaubensbiographie zu schreiben. Also, mal zu überlegen, wo ich im Leben, von frühester Jugend an, eine gläubige Erfahrung gemacht, mich innerlich angerührt fühlte: Zum Beispiel: Gottesdienste, die mir lebhaft in Erinnerung sind, Kirchenlieder, die ich gerne singe, Psalmverse oder Antiphonen, bei denen mein Herz aufgeht, Musik, Bücher, Orte, die etwas in mir angeregt und aufgeschlossen haben, Erfahrungen in der Natur, unterm Sternenhimmel, und schließlich Gottvertrauen und Gebete, die in Zeiten schwerer Krise – trotz allem – durchgetragen haben.
Wenn man mal anfängt, all das zu sammeln, fällt einem immer mehr ein, und schließlich wundert man sich, wie häufig und wie lebendig unsere Beziehung zu Gott spürbar ist. Wir könnten auch umgekehrt sagen, es ist die Beziehung Gottes zu uns, weil er uns anrührt und etwas von seiner Gegenwart erspüren lässt.
Und all das hat wenig mit der großen Theologie oder theologischen und kirchlichen Debatten und Streitereien zu tun. In solchen Augenblicken muss man nichts „irgendwie glauben“. Da ist selbstverständlicher Kontakt mit Gott, eine Beziehung, die einfach da ist und belebt.
Und wenn uns einmal bewusst geworden ist, wo und wann überall unser Glaubensleben solch spürbare Impulse bekommen hat, können wir auch immer wieder zu solchen Situationen und Erfahrungen zurückkehren, zu Texten und Bildern, um diese Erfahrungen zu erinnern, sie neu zu beleben und tiefer in die Beziehung mit Gott hineinzuwachsen, gerade auch in Zeiten der Krise – an denen es ja heutzutage wirklich nicht fehlt.
So kann unser Glaube genährt werden und wachsen. Dann wird dieser Glaube – wie der Hebräerbrief sagt – Grundlage für unsere Hoffnung auf Zukunft. Wer auf diese Weise glaubt, immer neu die Beziehung zu Gott erspüren kann, der geht getrost in die Zukunft – auch wenn es manchmal trocken wird in seiner Seele und er lange warten muss, bis der Morgenstern wieder aufgeht in seiner Seele.
Ich habe einmal den Satz gelesen: „Beten ist Beziehungspflege.“ Unser Glaube ist ja eigentlich ein Beziehungsglaube, eine Glaubensbeziehung, eine Beziehung, die von Gott selbst initiiert wurde, denn „ER hat uns zuerst geliebt“. Aber, wie jede andere Beziehung, muss auch diese Gottesbeziehung gepflegt werden, braucht Beziehungspflege –
und das tun wir gerade jetzt – hier, gemeinsam…..