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Predigten

Predigt: Standhaft bleiben, Leben gewinnen

Das Evangelium an diesem Sonntag betrachtet die Tempelzerstörung

Liebe Schwestern, liebe Brüder im Herrn,

es gibt verschiedene Arten, das heutige Evangelium zu hören, diesen Text von der Tempelzerstörung, von der Verfolgung und dem Zeugnisgeben.

Die eine Lesart ist wohl am weitesten weg, eher der wissenschaftliche Blick, wir schauen als Menschen von heute auf die Menschen von damals, denen dieser Text aufgeschrieben wird. Dann hat er damit zu tun, dass frühe Christinnen und Christen Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus über ihre Lage reflektieren. Zu ihrer Zeit war der Tempel in Jerusalem schon zerstört von den Römern worden. Deswegen spielen im heutigen Evangelium die Synagogen eine Rolle - sie haben als dezentrale Versammlungsorte den Tempel als zentralen Ort der Gottesbegegnung abgelöst. Bereits diese frühe Christengemeinde ist eine verfolgte. Ihr spricht der Jesus des heutigen Evangeliums zu: Bleibt dran, bleibt standhaft. Ihr werdet durchkommen, werdet das Leben gewinnen. Für diese Gruppe ist das eine wichtige Botschaft, denn es sollten noch lange Zeiten der Bedrängnis folgen, zunächst innerreligiöse Anfeindungen, später dann auch Verfolgungen durch das Römische Reich.

In dieser Lesart geht es um Menschen zur Entstehungszeit des Lukasevangeliums, die vor fast 2000 Jahren lebten, damals irgendwo in Kleinasien über 2000 Kilometer von hier. Vielleicht aber verbinden wir ihr Zeugnis mit dem von Menschen, die heute wegen ihrer Religion verfolgt werden. Und hoffen, dass die Botschaft Jesu auch ihnen jemand weitersagen möge: Ihr werdet das Leben gewinnen!

Eine andere, vielleicht naivere Lesart hört den historischen Jesus selbst sprechen. Die „ipsissima vox“ - das wäre dann so eine Art Interview mit dem Mann aus Nazareth, das überliefert wurde. Der war ziemlich sicher ein Tempelkritiker, ein Prediger vom Land, der den Tempelpriestern kurz vorher im Evangeliumsbericht vorgehalten hat, aus dem Tempel eine Markthalle mit Geldwechslern und Viehhändlern gemacht zu haben. Dieser Jesus legt sich so intensiv mit dem religiösen Establishment an, dass er am Ende aus dem Weg geräumt wird; er stirbt am Kreuz. Dieser Jesus steht ganz in der prophetischen Tradition, die die Mächtigen mahnt und Zeugnis gibt, das heißt: Er ist einer, der persönlich eintritt für das, was er sagt - das griechische Wort dafür ist: martyría.

Dieser Jesus ist selbst ein Verfolgter und ein Märtyrer. Wenn wir den Text so lesen, fordert er uns dazu auf, darüber nachzudenken, wo wir uns hinstellen sollten und tapfer für das eintreten, woran wir glauben und was wir für richtig halten.

Als gläubige Christen können wir schließlich drittens den auferstandenen Christus heraushören, der über die Zeiten hinweg zu uns heute spricht. Das ist mit diesem Text zunächst nicht schwer. Denn von Unruhen

und Kriegen hören wir dieser Tage genug. Reiche erheben sich gegen Reiche, Nationen gegen Nationen, und selbst eine weltweite Seuche haben wir gerade so überstanden.

Ein wenig mehr Zurückhaltung scheint angebracht, wenn es um die Verfolgung als Christusgläubige geht - da geht es uns heute und hier in Europa eigentlich gut im Vergleich zu anderen Zeiten und anderen Orten. Freilich, wenn im Familien- und Bekanntenkreis das Gespräch auf den Kirchenaustritt kommt, mag man um Worte der Weisheit ringen und auf den Beistand hoffen. Und es ist schon beunruhigend, dass neuerdings immer wieder Kirchen zum Ziel von symbolträchtigem Vandalismus werden. Aber im Großen und Ganzen, hier in Deutschland, scheint mir die Verfolgungsrhetorik, die manche pflegen, eher als Motivationsstrategie gedacht denn als Bericht über reale Zustände.

Das Durchhalten ist für uns heutige Christen hier in Europa weniger der Einsatz auf Leben und Tod. Es geht vielmehr um ein Ankämpfen gegen das Erschlaffen. Gegen die sogenannte Glaubensverdunstung, die schon jahrzehntelang die Kirchen leerer und leerer werden lässt. Und vielleicht ist selbst das noch zu groß gesprochen. Vielleicht ist unsere Aufgabe hier und heute nicht, den Rückgang zu stoppen, sondern nur, einen Umgang mit ihm zu finden. Wenn das große Wort erlaubt ist: einen Umgang mit dem Absterben der Strukturen, wie wir sie kennen. Einem Absterben, das wir nicht einfachhin aufhalten können.

Wenn Christus zu uns spricht aus diesem Text heraus, dann spricht da einer, der gestorben ist. Wirklich gestorben. Aber - so glauben und hoffen wir - er ist auch wahrhaft auferstanden. Wenn dieser auferstandene Christus zu uns spricht, heute und hier, dann geht es nicht um den Erhalt der Tempel, die wir errichtet haben. Diese Abteikirche ist nicht die erste, die an diesem Ort steht. So Gott will, wird sie auch nicht die letzte sein. Es wird Zeiten geben, da sie einstürzt oder abgebrochen wird. Und dann mag wieder etwas Neues kommen.

Der entscheidende Satz steht wohl am Ende: Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen. Unsere Hauptaufgabe ist nicht, den Tempel zu sichern. Was mit diesem Gebäude wird und wie es weitergeht mit der Kirche als Ganzem, solche zukünftigen Dinge stehen in Gottes Hand und wir überfordern uns, wenn wir sie garantieren wollen. Daran arbeiten und uns einsetzen für die Verbreitung der frohen Botschaft – das ganz sicher. Aber keine Bestandsgarantie von Menschenhand.

Von uns ist nur verlangt, in unserem Leben, in unserer Zeit standhaft zu bleiben. Achtsam darauf, wer heute die Viehhändler und Geldwechslerinnen sind, die uns von Gott fernhalten. Tapfer im Benennen der Missstände in Gesellschaft und Religion. Und beharrlich in der Hoffnung, die sich daraus speist, dass Jesus Christus uns über jede Entfernung hinweg und durch alle Zeit zusagt: Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr – wirklich – das Leben gewinnen. Amen.