Predigt zum 1. Advent 2025
Aufwachen – es wächst doch schon! 1. Advent 2025 – Röm 13,11; Mt 24,37– 44
Schwestern und Brüder,
in der Lesung aus dem Römerbrief hörten wir einen Satz, der auch am Anfang der Regel des heiligen Benedikt steht: Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf.
Benedikt fügt diesen Satz in einen dringlichen Appell ein und sagt: „Stehen wir endlich einmal auf! Die Schrift rüttelt uns wach und ruft: "Die Stunde ist da, vom Schlaf aufzustehen.“
Die gleiche Aufforderung taucht im Evangelium auf: „Seid also wachsam!“
Und: „Haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.“
Es sind drängende Worte: wachsam sein – bereit sein – wachgerüttelt werden – endlich einmal aufwachen!
Jesus spricht vom Ende der Zeiten, vom Ende unsrer Welt, und warnend weist er auf Situationen hin, wo Menschen einfach drauflos gelebt haben, mit Essen und Trinken und Sich-Amüsieren, bis die Katastrophe hereinbrach und sie hinwegraffte. Tanz auf dem Vulkan…. Seine Zuhörer sollten sich vorsehen, dass ihnen nicht Ähnliches passiert. „Aufwachen, wachsam sein!“ sagt Jesus.
Geht uns dieser Text etwas an? Wir könnten ihn etwas herunterspielen und sagen: Der Text gilt ja den frühen Christen, die glaubten, dass der HERR bald kommt und plötzlich hereinbricht. Aber er kam nicht. In der Zwischenzeit ist die Welt schon oft untergegangen, jedenfalls war der Untergang schon oft angekündigt.
Aber, in unseren Tagen geht die Angst wieder um. Endzeitangst. Kollabiert demnächst unsere Welt, unser Ökosystem? Stürzt unsere Gesellschaft, stürzen unsere politischen und wirtschaftlichen Systeme allmählich in ein Chaos, aus dem es keinen Ausweg gibt? Was heute in den Lesungen angesprochen wird, ist also doch nicht so weit von uns entfernt. Kein Wunder, dass viele Menschen von Zukunftsängsten geplagt werden.
Ergänzend sagt Jesus im Lukasevangelium (17,20): „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen. Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es! oder: Dort ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Hier holt uns Jesus in die Gegenwart zurück. Es geht ihm nicht um ein Spekulieren oder Sich-Fürchten vor der Zukunft. ER ist schon mitten unter uns. Hier in meinem Alltag will er einbrechen, will er gesehen und entdeckt werden. Wir sollen aufwachen für diese seine Gegenwart. Dazu mahnen heute Lesung und Evangelium.
Kürzlich ging es bei einem Gespräch um die Frage, was das Wichtigste im Leben sei. Darüber kann man sich stundenlang streiten. Aber einer sagte kurz und bündig: „Das Wichtigste ist, mit den Realitäten zu leben.“ Es sei natürlich gut, wenn wir auf hohe Ziele und Ideale zugehen wollen, aber praktisch ginge es doch um das, was mir vor den Füßen liegt, was jetzt dran ist, für mich dran ist. Dann wurde das Gespräch sehr konkret und nachdenklich.
Mit den Realitäten leben. Die Realitäten, das sind die Unglücks- und Untergangsszenarien unserer Zeit. Die Realitäten, das sind auch die ganz konkreten Dinge vor meiner Haustüre und im eigenen Herzen. Vieles treibt uns um in diesen Tagen. Und da spricht Jesus von jener anderen Realität: das Reich Gottes ist schon unter uns, ER ist unter uns, ganz konkret: „Ich bin bei euch alle Tage.“ Das ist auch Realität.
Diese Realität gilt es zu entdecken, Tag für Tag. Aufwachen für diese ganz andere Realität. Nicht nur auf das Chaos starren, das Chaos in der Welt und im eigenen Herzen, sondern Ausschau halten, wo Seine Gegenwart aufleuchtet, mich anspricht, mich aufrichtet, mitten in diesem Chaos – auch im eigenen Herzen.
Auf die Turbulenzen in der weiten Welt und in der Kirche haben wir hier keinen großen Einfluss. Es ist schon viel, wenn wir aus der Kraft Seiner Gegenwart das tun können, was in unserem eigenen Leben, in unserer näheren und weiteren Umgebung möglich ist – dafür sollten wir aufwachen und es beherzt tun.
Benedikt sagt, wir sollten Augen und Ohren auftun, um die göttliche Gegenwart zu entdecken.
Damit können wir jetzt gleich beginnen. Vielleicht spricht mich in diesem Gottesdienst ein Wort an, das ich als Wegzehrung in die Woche mitnehme, vielleicht ein Adventslied, das mich im Alltag begleitet, vielleicht die Begegnung mit einem Menschen, bei der das Herz aufgeht.
Oder, wenn wir still bei einer Adventskerze sitzen, kann uns vielleicht bewusst werden, wie oft uns schon Gottes Nähe durch Krisen getragen hat. Erfahrungen, die wir erinnern, Erfahrungen, die jetzt erneut Mut machen und weiterwirken wollen – jetzt, wo wir es brauchen.
„Es wächst doch schon, merkt ihr es nicht!“ ruft der Prophet Jesaja einmal aus. Was ist doch schon alles in mir/in uns gewachsen und will weiterwachsen – durch manches Dunkel und Chaos hindurch.
„Es wächst doch schon“, ER kommt doch schon,
ER ist doch schon längst gekommen – unzählige Male – und jetzt wieder.
Amen.