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Predigten

Predigt zum 4. Advent 2025

Adventskranz, bei dem vier Kerzen angezündet sind.

Predigt zu Mt 1,18-24

Wir haben gerade die Erzählung von der Geburt Jesu hört, wie sie uns Matthäus erzählt. Seine Erzählung klingt so ganz anders als die von Lukas. Es gelingt kaum, die beiden Texte biographisch zusammen zu bringen. Schon im 3. Jahrhundert meint der Kirchenvater Origenes: Immer wenn biblische Texte nicht übereinstimmen, wollen sie uns immer auf eine tiefere, geistige Bedeutung hinweisen. Die tiefere Bedeutung wird sichtbar, wenn wir die voneinander unabhängigen Deutungen der Geburt Jesu durch Lukas und Matthäus betrachten. Lukas erzählt die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem in die Sehnsucht der Griechen nach Heilung hinein. Denn die größte Not der Griechen war ihre Hinfälligkeit und Verletzlichkeit. Daher wird in Jesus der Heiland geboren, der unsere Wunden heilt. Und Lukas spricht seine Erzählung in die Sehnsucht nach einer anderen Friedenspolitik hinein: Er setzt den Frieden, der von dem verletzbaren Kind ausgeht, der die Herzen verwandelt, dem Frieden entgegen, den der Friedenskaiser Augustus mit roher Gewalt den Völkern aufgezwungen hat.

Matthäus will mit seiner Erzählung von der Geburt Jesu die Sehnsucht Israels nach Befreiung ansprechen. Jesus ist der zweite Mose, der sein Volk aus der Gefangenschaft herausführt in das Gelobte Land, in dem sie selber leben können und nicht mehr beherrscht werden von Fronvögten, von den ständigen Antreibern, immer noch besser zu werden, immer noch mehr zu leisten. Jesus wird als Antwort auf die fünf Bücher Mose fünf große Reden halten, in denen er die Gesetze des Mose neu interpretiert, in denen er von einer neuen Gerechtigkeit kündet.

In Josef wird diese neue Gerechtigkeit sichtbar. Er ist gerecht, nicht weil er alle Gebote erfüllt, sondern weil er den Menschen, weil er seiner Verlobten Maria gerecht wird. Und seine Gerechtigkeit zeigt sich darin, dass er auf die inneren Impulse hört, die Gott ihm im Traum durch seinen Engel vermittelt. Es genügt nicht, rein äußerlich Vorschriften zu erfüllen. Es geht darum, nach innen zu horchen und auf die Stimme Gottes zu hören, die im Traum oder in inneren Impulsen zu uns spricht.

In zwei Namen drückt Matthäus das Wesen Jesu aus. Der erste Name ist Jesus. Er bedeutet, dass Jesus sein Volk von seinen Sünden erlöst. Das griechische Wort für Sünde „hamartia“ meint: das Ziel verfehlen, an sich und seiner Wahrheit vorbeileben. Jesus will uns durch seine Worte – etwa in der Bergpredigt – zeigen, wie wir so leben können, dass es unserem Wesen entspricht. Und er verkündet uns den Gott, der unsere Sünden vergibt. Die Geschichte Israels ist ja geprägt von ständigem Abfall von Gott und seinen Geboten und immer wiederkehrender Umkehr. Jesus zeigt uns, dass Gott uns bedingungslos annimmt, auch wenn wir immer wieder Fehler machen und sündigen.

Der zweite Name, den Josef dem Kind geben soll ist Immanuel, Gott mit uns. In dem Menschen Jesus zeigt uns Gott konkret, dass er immer mit uns ist. Er sagt uns in Jesus Worte, die uns Leben und Licht schenken. Er ist mit uns, wenn wir wie die Jünger voller Angst in einen Sturm geraten, wenn wir wie die Jünger nicht mehr weiter wissen, wenn wir wie das Volk müde geworden sind, weil wir die Orientierung verloren haben. Er geht mit uns durch alle Stationen des Leidens. Er ist bei uns, auch wenn wir uns am Kreuz verlassen fühlen. Matthäus schließt sein Evangelium mit der Zusage des auferstandenen Christus: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20) Gott ist in Jesus bei uns bis zum Ende der Welt. Das meint nicht das Ende der Geschichte. Bei uns allen kommt die Welt an ihr Ende, wenn wir sterben. Auch wenn wir sterben, ist Gott bei uns. Er schickt uns seinen Engel, um uns über die Schwelle des Todes in seine liebenden Arme hinein zu tragen.

Gott ist unser ganzes Leben mit uns. Wenn wir zurückschauen auf unser Leben, gerade auch auf Situationen, in denen wir uns allein gelassen fühlten, in denen wir nicht mehr weiter wussten, in der wir ein Scheitern erlitten haben, dann können wir oft erkennen: Ja, wir waren nicht allein. Gott war bei uns und hat alles in Segen verwandelt. Dieses Vertrauen sollten wir auch heute in jeder Situation unseres Lebens haben, wenn wir voller Angst sind, wenn wir uns ohnmächtig fühlen. Das Wissen um Gottes heilende Nähe verwandelt unser Leben.

Doch viele sagen: Das klingt schön, dass Gott immer mit mir ist. Ich höre es nur mit dem Kopf. Aber ich spüre es nicht. Manchmal braucht unser Glaube etwas Handfestes, damit er nicht nur im Kopf bleibt, sondern auch das Herz berührt, ja bis ins Unbewusste hinein wirksam wird. Vor Jahren kam eine Frau zu mir, die gerade vom Arzt die Diagnose eines aggressiven Gehirntumors erhalten hatte. Der Arzt gab ihr höchstens noch 6 Wochen zu leben. Sie bat mich, ein kleines Kreuz zu segnen. Das hat sie jeden Abend in die Hand genommen und am Morgen immer noch in der Hand behalten. Sie hat damit viereinhalb Jahre den Gehirntumor überlebt. Für sie war dieses Halten des Kreuzes die konkrete Einübung in den Glauben an den Immanuel, dass Gott mit ihr ist. Ich erlebe viele Menschen, die voller Angst sind. Sie haben Angst, dass ihr Partner sterben könnte, dass ihren Kindern etwas passieren könnte. Manche haben Angst, ihr Leben nicht zu schaffen. Ja manche haben Angst, einkaufen zu gehen, weil ihnen im Trubel der Menge schwindlig werden könnte. Die Angst ist im Kopf, in dem wir ständig grübeln, was passieren könnte. Da tut es gut, in den Leib zu gehen, das Kreuz oder den Engel in meiner Tasche in die Hand zu nehmen, oder den Anhänger zu berühren, der mir sagt: Gott hängt dir an. Es gibt keine Situation, in der Gott nicht bei dir ist. Oder wir können den Ring an unserem Finger berühren und uns vorstellen: Gottes Liebe umhüllt mich wie dieser Ring und schützt mich vor den verletzenden Worten, die gerade auf mich einströmen.

Jetzt in dieser Eucharistiefeier dürfen wir in der Kommunion auch leibhaft erfahren, dass Gott der Immanuel ist. Wenn wir Christus empfangen, dürfen wir vertrauen, dass er mit uns durch den Alltag geht, dass er in uns ist. Und dort, wo er in uns ist, hat die Welt keine Macht über uns. So wünsche ich uns allen, dass wir in diesen Tagen vor Weihnachten und an Weihnachten immer mehr diese Wirklichkeit spüren können: Gott ist mit mir. Er ist wie eine Burg, die mich schützt. Er ist wie eine Atmosphäre von Liebe, die mich einhüllt. Dann hören wir nicht nur die Worte vom Immanuel, sondern dürfen sie auch erfahren, mit unserem Geist, aber auch mit unserem Leib.

Amen.