Predigt von Abt Michael Reepen: Das Kreuz verbindet

Predigt von Abt Michael zur Konventswallfahrt auf den Kreuzberg
Liebe Mitbrüder, liebe Pilgerinnen und Pilger, liebe Schwestern und Brüder!
Hier auf dem Kreuzberg erinnere ich mich an den Besuch eines Mannes in unserer Abtei, der mir im Gespräch mitteilte, er sei der Enkel des SS-Kommissars Völkl, der 1941 gewaltsam die Abtei Münsterschwarzach aufgelöst hatte. Er war gekommen, um Vergebung zu bitten für das, was sein Großvater dem Abt und den Brüdern angetan hatte. Die Mönche mussten sich damals dem Schicksal fügen; die Patres fanden Zuflucht hier bei den Franziskanern auf dem Kreuzberg.
Wir beide – Günther und ich – hatten mit dieser Vergangenheit eigentlich nichts mehr zu tun. Und doch spürten wir die Verantwortung. Gemeinsam gingen wir zum Grab von Abt Burkard in die Kirche und Günther zündete dort eine Kerze für ihn an. Er bat um Vergebung und bat mich, auch die Gemeinschaft um Vergebung zu bitten. Ich habe es damals getan. Und wir hatten alle den Eindruck: Nach all dem Schlimmen, was geschehen war – der Auflösung der Abtei und den Folgen daraus – kam plötzlich etwas wieder in Ordnung, nach so vielen Jahren.
Der Kreuzberg ist bis heute für viele Menschen ein Zufluchtsort. Beeindruckend ist die jährliche große Stadtwallfahrt aus Würzburg hierher. Heute schließen wir Mönche uns den Pilgern an. Wir kommen in diesem Heiligen Jahr als Pilger der Hoffnung zum Kreuzberg – angesichts einer Welt, wie sie sich momentan zeigt:
- das schier unerträgliche Leid der Menschen in Gaza, in der Ukraine, in Afghanistan, nun noch verstärkt durch das Erdbeben,
- der weitgehend unbeachtete Bürgerkrieg im Südsudan,
- die politische Unberechenbarkeit in den USA,
- die Suche Europas nach tragfähigen Wegen,
- die Verunsicherung vieler Menschen in unserem Land, ihre Angst vor der Zukunft und die zunehmend schwierige wirtschaftliche und finanzielle Situation.
Wir beten in unserem Kloster täglich für diese Anliegen. Doch heute lassen wir es uns etwas kosten: Wir machen uns auf den Weg, treten solidarisch an die Seite der Menschen und suchen Kraft an diesem Ort, der über Jahrhunderte für viele zum Zufluchtsort geworden ist. In der Wallfahrt zum Kreuzberg haben Generationen die Kraft der Erlösung durch das Kreuz erfahren.
Das Kreuz ist Zeichen der Versöhnung in einer gespaltenen und polarisierten Welt:
- zwischen rechts und links,
- zwischen progressiv und konservativ,
- zwischen Macht und Ohnmacht.
Das Kreuz verbindet:
- oben und unten, rechts und links,
- Norden und Süden, Osten und Westen.
- Das Kreuz führt alles zur Mitte.
So haben wir es auch in der Lesung aus dem Brief an die Epheser gehört: „Christus vereinte die beiden Teile, Juden und Heiden. Er riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder. Er hob das Gesetz samt seinen Forderungen auf, um die beiden in seiner Person zu einem neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet. Er kam und verkündete den Frieden: euch, den Fernen, und uns, den Nahen. Durch ihn haben beide in dem einen Geist Zugang zum Vater.“ Welche Worte! Welche Kraft, welcher Trost, welche Hoffnung liegen in diesem Kreuz! Durch Kreuz und Auferstehung ist Frieden geschaffen. Der Mensch findet durch Christus zurück zu seiner Mitte.
Liebe Mitbrüder, in den Umbrüchen dieser veränderten Welt müssen wir uns neu fragen:
- Was ist unser Fundament?
- Was ist unser Auftrag als Mönche von Münsterschwarzach?
- Wie können wir Versöhnung stiften?
- Wie können wir Hoffnung bringen?
- Wie können wir wirklich Pilger der Hoffnung sein?
Die Antwort liegt allein im Blick auf das Kreuz – auf Christus, der die Welt mit sich versöhnt hat. Das bedeutet: persönliche Umkehr jedes Einzelnen, Versöhnung mit den eigenen Licht- und Schattenseiten. Und es bedeutet, dass wir als Gemeinschaft immer wieder den Weg der Versöhnung suchen – untereinander und mit den Menschen, die uns begegnen.
Das Kreuz, das wir mitgebracht haben – das Rote Kreuz – haben wir bereits am Karfreitag verehrt. Wir schauen nicht weg vom Leid, sondern wir schauen hin, weil wir wissen: Aus dem Kreuz des Leidens erwächst Auferstehung und Ostern. Gestern Abend haben wir unsere Anliegen aufgeschrieben und in dieses Kreuz gelegt.
So dürfen wir mit den Worten Dietrich Bonhoeffers, geschrieben vier Wochen vor seiner Hinrichtung 1944, voll Vertrauen beten und singen (GL 822):
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.“
Abt Michael Reepen